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Münster (upm/bhe)
Archäologen und Geologen der Universitäten Münster, Aarhus, St. Andrews und Stirling haben entdeckt, dass sich im Umfeld mittelgroßer antiker Städte über Jahrhunderte hinweg bereits viele kleine Mengen des Schadstoffs im Boden angesammelt haben.© Danish-German Jerash Northwest Quarter Project
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Umweltbelastung schon in der Antike

Funde aus der antiken Stadt Gerasa belegen Schwermetall-Belastung im Boden

Umweltverschmutzung ist aktuellen Forschungen zufolge kein Phänomen der Moderne. Schon in der Antike litten Menschen beispielsweise unter Bleivergiftungen. Die Römer nutzten das Schwermetall in großem Stil als Material für Wasserrohre und mitunter sogar zum Süßen von Wein. Menge und Einfluss dieser Schadstoffbelastung sind insgesamt gut belegt. Ihre globale atmosphärische Wirkung lässt sich anhand von arktischen Eisbohrkernen nachverfolgen, sie wurde auch in europäischen Mooren beobachtet. Archäologen und Geologen der Universitäten Münster, Aarhus, St. Andrews und Stirling haben nun entdeckt, dass sich im Umfeld mittelgroßer antiker Städte über Jahrhunderte hinweg bereits viele kleine Mengen des Schadstoffs im Boden angesammelt haben.

Das Bild von den rauchenden Fabrikschornsteinen der Industrialisierung greift beim Thema Umweltverschmutzung also zu kurz. Denn anders als häufig angenommen waren Schadstoffbelastungen im industriellen Maßstab bereits in der Antike durchaus üblich, etwa durch den zentralisierten Blei-Silber-Bergbau. Wo immer Menschen natürliche Ressourcen im größeren Stil nutzten – zum Bauen, für die Landwirtschaft, für die Produktion von Lebensmitteln oder Gegenständen – ging dies häufig mit Umweltverschmutzung einher. Wälder wurden gerodet, Abwässer in Flüsse eingeleitet, der Rauch von Herdfeuern trübte die Stadtluft, und beim Abbau von Metallen in Minen wurden giftige Stoffe freigesetzt. Zwar geschah die Umweltzerstörung noch nicht im gleichen globalen Maßstab wie heute. Verseuchter Boden und belastetes Trinkwasser machten jedoch zu allen Zeiten krank. Überlieferte Warnungen etwa in Inschriften belegen, dass die gefährlichen Folgen für die Gesundheit durchaus bekannt waren.

„Neu ist es, zusätzlich zu den offensichtlichen Verdächtigen auch kleinste Verursacher in den Blick zu nehmen, etwa handwerkliche und alltägliche Aktivitäten“, sagt Prof. Dr. Achim Lichtenberger vom Institut für Klassische Archäologie und Christliche Archäologie der Universität Münster. Auf lokaler Ebene bestätigen die Funde aus römischen, byzantinischen und frühislamischen Zeiten demnach, was man für die Epoche insgesamt schon lange vermutete: Das Prinzip „Kleinvieh macht auch Mist“ galt auch damals.

Seit 2011 forscht ein deutsch-dänisches Team des „Jerash Northwest Quarter Project“ unter der Leitung von Achim Lichtenberger aus Münster und Prof. Dr. Rubina Raja aus Aarhus in der antiken Stadt Gerasa auf dem Gebiet des heutigen Jordanien. Immer wieder wunderten sich die Forscher über die Belastung des Bodens mit Schwermetallen. „In bisherigen Kontaminationsstudien sind diese Faktoren ignoriert worden“, betont Dr. Genevieve Holdridge aus Aarhus. Die Erstautorin einer neuen internationalen Studie zu den Funden spricht in diesem Zusammenhang von „archäologischen Beweisen“. In Kombination mit naturwissenschaftlichen Analysen kam ein unerwartetes Muster aus der antiken Stadt, ihrem Hinterland und stromabwärts aus dem Flusstal in der untersuchten Region zum Vorschein.

Wertvolle Lehren für nachhaltige Städte der Gegenwart

„Hinweise auf Bleirohre haben wir in Gerasa nur sehr selten entdeckt, ebenso wenig wie Metallindustrie oder Bergbau“, berichtet Achim Lichtenberger. Dennoch sei der Boden über Jahrhunderte hinweg derart kontinuierlich verseucht worden, dass es für die späteren Bewohner des Gebietes ungeahnte gesundheitliche Folgen bedeutet haben muss. Die Autoren der Studie machen alltägliche Aktivitäten wie die Herstellung und Nutzung von Metallgegenständen für die hohen Schwermetall-Belastungen verantwortlich. Nicht einzelne Großproduzenten haben diese Umweltverschmutzung verursacht, sondern zahlreiche Kleinaktivitäten, die auf eine hohe Bevölkerungsdichte und Urbanisierung zurückzuführen sind.

„Der Fall Gerasa birgt wertvolle Lehren für nachhaltige Städte der Gegenwart“, unterstreichen die Autoren der Studie, die im Juni in der internationalen Online-Fachzeitschrift der Public Library of Science „PLOS ONE“ veröffentlich wurde. „Die Kontaminationspfade spiegeln eine langfristige menschengemachte Umweltverschmutzung auf lokaler und regionaler Ebene seit der Römerzeit wider“, fassen sie zusammen. In der Antike gab es viele Städte von der Größe Gerasas und größer. „Die alltägliche städtische Nutzung und Wiederverwendung von Schwermetallquellen sollten daher im Verständnis historischer Schadstoffverteilungen auf globaler Ebene künftig mit berücksichtigt werden.“

Autorin: Brigitte Heeke

Dieser Artikel stammt aus der Unizeitung wissen|leben Nr. 4, 16. Juni 2021.

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