Physiker schneidern gegen Corona
In normalen Zeiten liegen reichlich Reste aus den Fräs- und Sägemaschinen in den Werkstatträumen der physikalischen Institute der WWU herum. In normalen Zeiten lernen Studierende in den umliegenden Seminarräumen viele Details über Thermodynamik und Elektromagnetismus.
Aber es sind keine normale Zeiten – es sind die Wochen und Monate der Corona-Pandemie. Deswegen bedecken jetzt manchmal bunte Stoff-Fetzen den Werkstatt-Boden, und in den Seminarräumen stehen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Fachbereichs an großen Tischen und schneiden Stoffteile zu. Denn anstatt Geräte für die Forschung zu bauen, helfen sie seit einigen Wochen dabei, die überall in Deutschland dringend benötigten Atemschutzmasken zu produzieren. Als sich das Universitätsklinikum Münster (UKM) mit der Bitte um Unterstützung bei der Maskenproduktion Ende März an das Rektorat der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster (WWU) wandte, musste alles ganz schnell gehen.
Dr. Andreas Gorschlüter, Geschäftsführer des Physikalischen Instituts und Koordinator der technischen Unterstützung, startete einen Aufruf am Fachbereich Physik, auf den sich 25 freiwillige Helfer meldeten, die das UKM beim Zuschneiden, Bügeln und Nähen der Masken unterstützen. Allerdings konnte auch mit dieser Hilfe der hohe Bedarf aufgrund einer Maskenpflicht auf dem gesamten Gelände des UKM nicht gedeckt werden. Denn anfangs mussten die Mitarbeiter die quadratischen Stoffzuschnitte, die für die Maskenherstellung benötigt werden, mit einer Schablone anzeichnen und per Hand mit Scheren ausschneiden. „Das benötigte viel Zeit oder viele Mitarbeiter – beides ist aktuell nicht vorhanden“, erklärt Daniel Bonaventura, Techniker am Institut für Kernphysik und Mitorganisator der Hilfsaktion. Mit einigen Kollegen besuchte er die Produktion am UKM, nahm mehrere Stoffstücke mit und tüftelte daran, den Stoff effizienter zerschneiden zu können.
Kurz darauf hatten sie eine Lösung. Auf dem großen Schneidetisch des Instituts für Kernphysik, auf dem die Physiker sonst Teile für Experimentalaufbauten zuschneiden, und Rollmessern gelang es dem Team, die alte OP-Kleidung, Bettlaken und Kittel aus dem UKM sehr viel schneller zu zerschneiden. Sie bauten eigens für die Herstellung der quadratischen Stoffstücke sogar einen zweiten Schneidetisch und installierten zusätzlich Anschläge an den Tischen, was das Zerschneiden der Stoffstücke weiter vereinfachte. „Mittlerweile helfen zahlreiche Freiwillige aus dem Fachbereich Physik – darunter Auszubildende, Mitarbeiter und Professoren – sowohl beim Zuschneiden der Masken an der WWU als auch bei der Weiterverarbeitung vor Ort im UKM. In den Fachbereichs-Räumen stellen wir aktuell fast 5.000 Zuschnitte pro Tag her“, erklärt Andreas Gorschlüter. Insgesamt stellte das Team bereits mehr als 50.000 Stoffstücke her, die regelmäßig an die orthopädischen Werkstätten des UKM geliefert und dort weiter vernäht und zu einer tragfähigen Maske verarbeitet werden. Diese werden von Besuchern und Mitarbeitern getragen, die keinen Kontakt zu Corona-Patienten haben, um die hochwertigen Atemschutzmasken des UKM für Operationen und die Stationen mit Corona-Patienten zu reservieren.
Da das Zuschneiden der Stoffe durch die vorgefertigten Hilfsmittel sehr einfach geworden ist, kann fast jeder Freiwillige am Fachbereich diese Aufgabe übernehmen. „Dadurch sind wir sehr flexibel. Die Kollegen können mit Blick auf ihre eigentliche Arbeit selbst entscheiden, wann sie beim Zuschneiden helfen“, erläutert Daniel Bonaventura. Mit dem Ergebnis, dass nicht nur die Produktion der Atemschutzmasken erheblich an Fahrt gewonnen hat - es entlastet auch die Mitarbeiter am UKM, die dadurch an anderen wichtigen Stellen eingesetzt werden können. „Die Unterstützung und der Zusammenhalt am Fachbereich Physik sind unglaublich. Es ist toll, dass wir das UKM gemeinsam unterstützen können“ sagt Daniel Bonaventura. „Wir freuen uns, dass wir einen wichtigen Beitrag in dieser Krise abseits vom Hochschulbetrieb leisten können“, ergänzt Andreas Gorschlüter.