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Münster (upm/sr)
So funktionierte das Experiment: Die Forscher verwendeten einen Mikrowellen-Resonator (braun), der Felder mit Frequenzen im Mikrowellenbereich erzeugte, wodurch die Magnonen in einem Film aus Yttrium-Eisengranat (rot) angeregt wurden und ein Bose-Einstein-Kondensat bildeten. Ein inhomogenes statisches Magnetfeld erzeugte Kräfte, die auf das Kondensat wirkten. Mit einer Sonde aus Laserlicht (grün), das auf die Oberfläche der Probe fokussiert war, zeichneten die Forscher die lokale Dichte der Magnonen auf und konnten ihre Wechselwirkung im Kondensat beobachten (Brillouin-Lichtstreu-Spektroskopie).<address>© I. V. Borisenko et al./ Nature Communications</address>
Das Experiment: Die Forscher verwendeten einen Mikrowellen-Resonator (braun), der Felder mit Frequenzen im Mikrowellenbereich erzeugte, wodurch die Magnonen in einem Film aus Yttrium-Eisengranat (rot) angeregt wurden und ein Bose-Einstein-Kondensat bildeten. Ein inhomogenes statisches Magnetfeld erzeugte Kräfte, die auf das Kondensat wirkten. Mit einer Sonde aus Laserlicht (grün), das auf die Oberfläche der Probe fokussiert war, zeichneten die Forscher die lokale Dichte der Magnonen auf beobachteten ihre Wechselwirkung im Kondensat (Brillouin-Lichtstreu-Spektroskopie).
© I. V. Borisenko et al./ Nature Communications

Bose-Einstein-Kondensat: Magnetische Teilchen verhalten sich abstoßend

Neue Erkenntnisse von Physikern der Universität Münster können für zukünftige Informationstechnologien relevant sein / Studie in "Nature Communications"

Eine Datenübertragung, die mittels magnetischer Wellen anstelle elektrischer Ströme funktioniert – für viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ist das die Basis zukünftiger Technologien, mit der die Übertragung schneller und elektrische Bauteile kleiner und energiesparender gemacht werden können. Magnonen, die Teilchen des Magnetismus, dienen dabei als bewegliche Informationsträger. Vor knapp 15 Jahren gelang es Forschern der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster (WWU) erstmals, einen neuartigen Quantenzustand von Magnonen bei Raumtemperatur zu erreichen – ein auch als „Superatom“ bezeichnetes Bose-Einstein-Kondensat aus magnetischen Teilchen, also ein extremer Aggregatzustand, der üblicherweise nur bei sehr geringen Temperaturen stattfindet.

Seither fällt auf, dass dieses Bose-Einstein-Kondensat räumlich stabil bleibt – obwohl ein Kondensat aus Magnonen laut Theorie eigentlich zusammenfallen müsste, schließlich handelt es sich um anziehende Teilchen. In einer aktuellen Studie zeigen die Forscher jetzt erstmals, dass sich die Magnonen innerhalb des Kondensats abstoßend verhalten, was zur Stabilisierung des Kondensats führt. „Damit lösen wir einen langjährigen Widerspruch zwischen der Theorie und Praxis auf“, betont Studienleiter Prof. Dr. Sergej O. Demokritov. Die Ergebnisse können für die Entwicklung zukünftiger Informationstechnologien relevant sein. Die Studie ist in der Fachzeitschrift „Nature Communications“ erschienen.

Hintergrund und Methode:

Das Besondere am Bose-Einstein-Kondensat ist, dass sich die Teilchen in diesem System nicht unterscheiden und sie sich überwiegend im selben quantenmechanischen Zustand befinden. Der Zustand kann daher durch eine einzige Wellenfunktion beschrieben werden, woraus Eigenschaften wie die Suprafluidität resultieren. Die Suprafluidität zeichnet sich durch eine sogenannte Null-Dissipation während der Bewegung des Kondensats bei tiefen Temperaturen aus – unter Dissipation versteht man das Verschwinden von Energie und Impuls infolge von Reibung.

Zuvor waren die Vorgänge im Bose-Einstein-Kondensat ausschließlich in homogenen Magnetfeldern untersucht worden – also in Magnetfeldern, die an jeder Stelle gleich stark sind und in denen die Feldlinien gleichmäßig in eine Richtung zeigen. Die Forscher verwendeten einen Mikrowellen-Resonator, der Felder mit Frequenzen im Mikrowellenbereich erzeugte, wodurch die Magnonen angeregt wurden und ein Bose-Einstein-Kondensat bildeten. Im aktuellen Experiment führten die Wissenschaftler einen zusätzlichen sogenannten Potenzialtopf ein. Dieser entspricht einem inhomogenen statischen Magnetfeld, das Kräfte erzeugt, die auf das Kondensat wirken. So konnten die Forscher die Wechselwirkung der Magnonen im Kondensat direkt beobachten.

Skizze der Verteilung des Kondensats im Potenzialtopf. Unten: die gemessene Kondensatdichte. Die Linie zeigt das theoretische Ergebnis unter Berücksichtigung der abstoßenden Wechselwirkung zwischen Magnonen.<address>© I. V. Borisenko et al./ Nature Communications</address>
Skizze der Verteilung des Kondensats im Potenzialtopf. Unten: die gemessene Kondensatdichte. Die Linie zeigt das theoretische Ergebnis unter Berücksichtigung der abstoßenden Wechselwirkung zwischen Magnonen.
© I. V. Borisenko et al./ Nature Communications
Dazu nutzten sie ein Verfahren der Brillouin-Lichtstreu-Spektroskopie. Dabei wurde die lokale Dichte der Magnonen mit dem Laserlicht einer Sonde aufgezeichnet, das auf die Oberfläche der Probe fokussiert war. Auf diese Weise erhoben sie die räumliche Umverteilung der Kondensatdichte und beobachteten das Verhalten der magnetischen Teilchen unter verschiedenen experimentellen Bedingungen. Die Daten ließen die Schlussfolgerung zu, dass die Magnonen im Kondensat abstoßend zueinander interagieren und dadurch das Kondensat stabil bleibt.

Darüber hinaus beobachteten die Forscher zwei charakteristische Zeiten der Dissipation: zum einen die Energie- und zum anderen die Impulsdissipation im Kondensat. Die Zeit der Impulsdissipation – der Impuls beschreibt den mechanischen Bewegungszustand eines physikalischen Objekts – erwies sich als sehr lang. „Das kann der erste experimentelle Nachweis für eine mögliche magnetische Suprafluidität bei Raumtemperatur sein“, betont Sergej Demokritov.

Bisher wurde die Verwendung von Kondensaten aus magnetischen Teilchen vor allem durch die kurze Lebensdauer des Kondensats erschwert. „Unsere Erkenntnisse über bewegtes Kondensat und die Untersuchung des Magnon-Transports sowie die Entdeckung zweier unterschiedlicher Zeiten zeigen, dass die Lebensdauer nichts mit der Impulsdissipation des bewegten Kondensats zu tun hat“, sagt Erstautor Dr. Igor Borisenko. Die Ergebnisse könnten daher neue Perspektiven für Magnon-Anwendungen in zukünftigen Informationstechnologien eröffnen.

Beteiligte Institutionen und Förderung:

Neben den Forschern des Instituts für Angewandte Physik und des Center for Nanotechnology der WWU waren Wissenschaftler der Universität zu Köln, der Texas A&M University und der Russischen Akademie der Wissenschaften an der Studie beteiligt. Die Studie erhielt finanzielle Unterstützung durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft und das Forschungszentrum QM2 der Universität zu Köln.

Originalpublikation:

I. V. Borisenko et al. (2020): Direct evidence of spatial stability of Bose-Einstein condensate of magnons. Nature Communications; DOI: 10.1038/s41467-020-15468-6

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