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Münster (upm/kn)
Seit dem Wintersemester 2015/16 absolviert Klaus-Dieter Franke das „Studium im Alter“ an der WWU.<address>© WWU - Kathrin Nolte</address>
Seit dem Wintersemester 2015/16 absolviert Klaus-Dieter Franke das „Studium im Alter“ an der WWU.
© WWU - Kathrin Nolte

Ältere Studierende als Wissenschafts-Botschafter der Universität

"Die Lernprozesse sind intensiver und nachhaltiger": "Studium im Alter"-Seminare bieten die Möglichkeit des Forschenden Lernens

Veröffentlichungen in zwei Sammelbänden über die erinnerungskulturelle Debatte um Paul von Hindenburg in Münster und die Geschlechtergeschichte in Westfalen am Beispiel der Tagebücher von Anna Topheide – das sind bislang die Ergebnisse des wissenschaftlichen Arbeitens von Klaus-Dieter Franke. Der 69-Jährige absolviert seit dem Wintersemester 2015/16 das „Studium im Alter“ an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster (WWU).

„Ich habe erst jetzt begriffen, wie Forschen funktioniert. Denn während meines Erststudiums basierten meine Seminararbeiten hauptsächlich auf publizierter Literatur. Heute arbeite ich mit lokalen Quellen und recherchiere dafür in Archiven“, erläutert Klaus-Dieter Franke. Bereits von 1969 bis 1975 hat er Geschichte und Germanistik auf Lehramt an der WWU studiert und danach im Zentrum für schulpraktische Lehrerausbildung Rheine gearbeitet. „Wenn man in den Ruhestand geht, muss man eine neue Struktur finden“, begründet Klaus-Dieter Franke seine Entscheidung, zu seiner Alma Mater zurückzukehren. Aber schnell merkte er, dass ihm der Vorlesungsbesuch allein nicht ausreicht: „Es war mir zu wenig, nur im Hörsaal zu sitzen und zuzuhören.“ Im Sommersemester 2016 nahm Klaus-Dieter Franke deshalb an seinem ersten „Forschenden Lernen“-Seminar teil. Zusammen mit elf weiteren Mitstreiterinnen und Mitstreitern untersuchte er vier Semester lang die Geschichte des Nationalsozialismus in Westfalen nach 1945.

„Das Forschende Lernen als eine besondere Form von Bürgerwissenschaft bereichert die Universität auf vielfältige Art und Weise: Die älteren Studierenden können Fragen, die sie für besonders relevant halten, in den Forschungsprozess einbringen, sie produzieren neue wissenschaftliche Erkenntnisse und kommunizieren ihre Ergebnisse in Vorträgen, Lesungen, Ausstellungen und Publikationen in ihren Communities. Sie sind also eine Art ‚Wissenschafts-Botschafter‘“, erklärt Dr. Veronika Jüttemann, wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Kontaktstelle „Studium im Alter“ und Dozentin. Bislang würden diese Seminare vor allem in der Geschichtswissenschaft angeboten. „Die Projekte der älteren Studierenden sind lokal- oder regionalgeschichtlich zugeschnitten und in ihren Heimat- oder Wohnorten angesiedelt. Dadurch haben sie erstens einen leichteren Zugriff auf Quellen, die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern ohne Ortskenntnisse häufig verborgen bleiben“, erläutert Veronika Jüttemann. „Und zweitens ergänzen die Arbeiten der Studierenden durch die Froschperspektive ihrer Ansätze die nationale Vogelperspektive, die die Arbeiten hauptberuflicher Historikerinnen und Historiker häufig dominiert.“

„Meine persönlichen Interessen sind meine Motivation für die Forschungsarbeit“, betont Klaus-Dieter Franke. Neben dem Verfassen von wissenschaftlichen Beiträgen arbeitete er auch an der Veranstaltungsreihe „Historisches zur Kaffeezeit“ mit. Das Vortragsformat stellte die Ergebnisse des Seminars „Helden und Außenseiter. Zum Umgang mit dem NS in Westfalen nach 1945“ an vier Nachmittagen im Januar 2019 vor. In Zusammenarbeit mit der Studiobühne der WWU entstand aus den Quellen, die den Arbeiten zu Grunde liegen, zudem eine szenische Lesung, die in Münster und verschiedenen Orten des Münsterlands 2018 und 2019 aufgeführt wurde.

Wie die jüngeren Studierenden machen auch die älteren in den Seminaren des Forschenden Lernens die Erfahrung, was wissenschaftliche Erkenntnis bedeutet und wie mühsam der Weg dahin manchmal sein kann. „Ein wesentlicher Unterschied ist jedoch der Faktor Zeit: Im Gegensatz zu jüngeren Studierenden sind die älteren nicht an Lehrpläne gebunden. Die Forschungsprojekte können daher auch mehrere Semester lang dauern und mehr Zeit pro Woche in Anspruch nehmen, sodass sie auch umfangreichere Fragestellungen bearbeiten können“, schildert Veronika Jüttemann und ergänzt: „Die Lernprozesse in diesen Seminaren sind intensiver und nachhaltiger als in herkömmlichen Seminaren. Und zwar für beide Seiten – für mich als Dozentin und für die Studierenden.“

Seit dem Wintersemester 2019/20 engagiert sich Klaus-Dieter Franke in dem Seminar „Demokratiegeschichte(n) vor Ort 1900-2000“. Er möchte untersuchen, welchen Beitrag eine konservative und eine sozialdemokratische Tageszeitung aus Westfalen zur Demokratisierung der Bundesrepublik Deutschland leisten. Neben der Forschungsarbeit ist Klaus-Dieter Franke auch der Austausch untereinander wichtig: „Es entstehen neue Bekannt- und Freundschaften, die ich ansonsten nicht gemacht hätte.“

 

Das „Studium im Alter“

Seit 1986 gibt es das „Studium im Alter“ an der WWU, das von rund 2.000 älteren Studierenden aus Münster und der umliegenden Region jedes Semester wahrgenommen wird. Unabhängig von ihrem Schulabschluss – etwa 20 Prozent der Teilnehmenden hat kein Abitur – und ohne Bindung an Studien- und Prüfungsordnungen steht das Transferangebot der Universität Münster allen Interessierten offen. Notwendig ist lediglich eine Einschreibung als Gasthörer.

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