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Münster (upm/ja)
Die WWU-Politologen Prof. Dr. Bernd Schlipphak (l.) und Prof. Dr. Oliver Treib<address>© WWU/fPol - Matthias Freise</address>
Die WWU-Politologen Prof. Dr. Bernd Schlipphak (l.) und Prof. Dr. Oliver Treib
© WWU/fPol - Matthias Freise

"Es geht auch um die Zukunft der 'Groko' in Berlin"

Politikwissenschaftler der Universität Münster bewerten die bevorstehenden Wahlen in drei ostdeutschen Bundesländern

Angesichts der sich rasant wandelnden Parteienlandschaft in Deutschland, einer erstarkenden AfD und der aktuellen Neuaufstellung der SPD-Spitze bekommen die anstehenden Landtagswahlen in Brandenburg und Sachsen (1. September) und Thüringen (27. Oktober) besonderes Gewicht. Zwei Politikwissenschaftler der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster (WWU), Prof. Dr. Oliver Treib und Prof. Dr. Bernd Schlipphak, nehmen in einem Interview mit Juliane Albrecht dazu Stellung.

Wie ist das Auftreten und Erstarken der AfD besonders in den ostdeutschen Bundesländern einzuschätzen?

Oliver Treib
: Unseren Analysen zufolge wird die AfD deutschlandweit vorwiegend von Modernisierungs-Verlierern gewählt, also von Arbeitslosen, prekär Beschäftigten, Menschen mit geringer formaler Bildung und schlechten wirtschaftlichen Aussichten. Diese Schicht ist in Ostdeutschland sehr viel größer als im Westen. Die populistisch geprägte Rhetorik der Partei, mit der Unterscheidung zwischen den sogenannten korrupten Eliten und dem von der politischen Elite verratenen Volk, findet im Osten zudem mehr Resonanz als im Westen. Dahinter stecken sicher mehrere Gründe – etwa die negativen Erfahrungen mit dem SED-Regime, die positive Konnotation des Konzepts 'Volk' aus der Wendezeit oder die Wahrnehmung, dass man als 'Ossi' im Rest Deutschlands nicht ernst genommen wird. Im Osten gibt es einfach sehr viel mehr Unzufriedenheit, und die Unzufriedenen gehen vorwiegend zu denen, die am lautesten nach einem fundamentalen Wandel rufen.

Bernd Schlipphak: Dabei gehen wir davon aus, dass diese vermeintliche Marginalisierung zunächst einen Einfluss auf die Wahrnehmung von wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Bedrohungen und die Unterstützung autoritärer Positionen hat. Und dass dies in einem zweiten Schritt verstärkt zur Wahl der AfD führt, die solche Bedrohungen kommuniziert und diese Positionen vertritt. Das Konzept der Marginalisierung und seiner Wirkungen untersuchen wir in einem Forschungsprojekt mit Psychologen und Soziologen der WWU Münster. Neben den Wirkungen wollen wir herausfinden, aus welchen Quellen sich diese Marginalisierungsgefühle im Einzelnen speisen. Besonders spannend wird sein, ob sich diese Gründe für Marginalisierungswahrnehmungen in Ost und West unterscheiden.

Die SPD droht, seit dem Aus von Ex-Parteichefin Andrea Nahles ins Abseits auf der politischen Landkarte Deutschlands zu geraten. Wird die "Ostwahl" zu einem Schlüsselerlebnis für die einstige Volkspartei?

Schlipphak
: Diese Entwicklung hat nicht erst mit Andrea Nahles und ihrem Rücktritt begonnen, sondern ist sicher schon Resultat der Entscheidung, trotz vieler – aus meiner Sicht berechtigter – skeptischer Stimmen erneut in die Große Koalition einzusteigen. Als Teil der 'Groko' hat die SPD immer Stimmen verloren, was unter anderem auch der Veränderung der eigenen Position zur Mitte hin und der Übernahme sozialdemokratischer Positionen durch die CDU unter Angela Merkel geschuldet ist. Die Wahlen in Sachsen, Brandenburg und Thüringen könnten daher in der SPD die Debatte über die Weiterführung der Groko in Berlin und die positionelle Ausrichtung der eigenen Partei erneut intensivieren – mit Folgen für die Wahl des SPD-Vorsitzes im Dezember.

Treib: Generell haben sozialdemokratische Parteien überall auf der Welt Probleme, da ihr klassisches Wählerklientel entweder wegbricht oder aber wirtschaftlich so saturiert geworden ist, dass es kein Interesse an sozialdemokratischer Umverteilungspolitik mehr hat. Der Niedergang konnte nur dort gestoppt werden, wo sich die Parteien den Bedürfnissen neuer Wählerschichten (etwa alleinerziehender Mütter) öffneten und auch einen neuen, angriffslustigeren Stil pflegten. Ob Kevin Kühnert das Zeug zu einem deutschen Jeremy Corbyn oder Bernie Sanders hat, sei dahingestellt. Aber aus meiner Sicht wäre die SPD mit jemandem wie Kühnert deutlich besser aufgestellt, um sich in der Opposition neue Wählerschichten zu erschließen als mit dem derzeitigen Groko-treuen Führungspersonal.

30 Jahre nach dem Mauerfall am 9. November 1989 stehen Ost-West-Themen im Vorfeld dieser Wahlen auf der Agenda. Sind die ostdeutschen Mitbürger tatsächlich auch heute noch die Verlierer der Wende?

Schlipphak: Wenn sich unsere theoretischen Vermutungen über ein stärkeres Gefühl der Marginalisierung in den östlichen Bundesländern sich auch empirisch zeigen lassen, dann sollte der Abbau dieser Wahrnehmung natürlich ein zentraler Baustein zukünftiger föderaler Politik sein. Es ginge also darum, sowohl infrastrukturell als auch – und vor allem – in der politischen Debatte zu zeigen, dass man die Bevölkerung in den östlichen Bundesländern mit ihren Problemen genauso ernst nimmt wie die Bürger im Westen.

Treib: Die Parteien könnten auch personell einen Beitrag leisten, um das Gefühl vieler Ostdeutscher zu bekämpfen, Bürger zweiter Klasse zu sein. Wenn Angela Merkel abtritt, bleibt in der Bundespolitik kaum ein prominenter Kopf mit ostdeutschen Wurzeln übrig. Und die Kanzlerin hat alles getan, um ihre ostdeutsche Identität hinter sich zu lassen. Gebraucht werden starke ostdeutsche Identifikationsfiguren in der Bundespolitik. Es ist bezeichnend, dass es im aktuellen Bundeskabinett mehr Saarländer als Ostdeutsche gibt.

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