"Gemeinsam gegen Plastikmüll"
Ob Joghurtbecher, Gartenstuhl oder Fischernetz – Plastik ist allgegenwärtig. Seit 1950 ist die Kunststoffproduktion von 1,5 Millionen Tonnen auf jährlich mehr als 300 Millionen Tonnen weltweit gestiegen – und damit auch die Menge des anfallenden Plastikmülls. Jana Schiller sprach mit Tobias Gumbert und Dr. Yusif Idies vom Zentrum für Interdisziplinäre Nachhaltigkeitsforschung der WWU über den Umgang mit Plastik.
Die neue Plastik-Richtlinie der Europäischen Kommission verbietet ab 2021 den Verkauf von ersetzbaren Einwegplastikprodukten. Wie effektiv ist diese Maßnahme?
Tobias Gumbert: Die EU-Richtlinie ist ein erster Schritt in die richtige Richtung. Entscheidend für die Effektivität ist jedoch, wie die Regulierung ausgestaltet ist. Verbotsmaßnahmen betreffen nur einen geringen Teil der Produkte. Es geht überwiegend um Konsumentenaufklärung sowie Bildungskampagnen und zu Teilen um erweiterte Herstellerverantwortung, die Produzenten verpflichtet, Produkte zurückzunehmen, die sie selbst in den Markt gebracht haben. Dieser Verantwortung können Unternehmen jedoch durch Zahlung verhältnismäßig geringer Gebühren nachkommen.
Yusif Idies: Gesetze und Regulierungen bringen die Plastikproblematik zwar auf die gesellschaftliche Agenda und können sensibilisieren. Eine Richtlinie der EU hat in dieser Hinsicht vermutlich eine größere Reichweite als regionale Richtlinien. Gemessen an den vermiedenen Mengen an Plastik dürfte der Effekt jedoch marginal sein. Und global gesehen steigt die Plastikproduktion ohnehin weiter an.
… sind wir dennoch auf dem richtigen Weg?
Gumbert: Die Regulierung von Einwegprodukten ist ein guter Start, um den Stein ins Rollen zu bringen. Die nächste große Hürde sind Verpackungen. Die Verpackungsordnung ist wesentlich komplexer – Hygienenormen, Gesundheitsstandards oder Lebensmittelsicherheit spielen dabei eine große Rolle.
Sollte man besser grundsätzlich auf Plastik verzichten?
Idies: Unser jetziges Leben ist kunststoffbasiert. Essenzielle Infrastrukturen wie die elektrische Versorgung kommen ohne Plastik nicht aus. Ein genereller Verzicht auf Plastik ist insofern nicht möglich.
Gumbert: Man muss differenzieren. Plastik ist kein moralisch schlechtes Material. Kunststoffe erleichtern den Alltag in vielen Bereichen – sie brechen nicht so leicht, sie sind leichter als viele andere Materialien. Sie werden nur dann zur Gefahr für Mensch und Ökosysteme, wenn sie unkontrolliert in die Umwelt gelangen. Wenn diese Gefahr besteht, sollte man Plastik besser ersetzen. Eine große Herausforderung ist insbesondere das Ersetzen von Kunststoffen in der Lebensmittelindustrie, die teilweise nicht auf Kunststoffe verzichten will, da das geringe Gewicht von Plastikverpackungen Geld spart und Transportemissionen verringert.
Gurken beispielsweise könnten aber sicherlich gut ohne Plastik auskommen …
Idies: Die Gurke in Plastikfolie ist ein gutes Beispiel dafür, wie das moderne Leben funktioniert. Es gibt zwar Kühlschränke, die Lebensmittel frisch halten, aber da man oft für die gesamte Woche einkauft, ist die eingepackte Gurke sehr vorteilhaft, da sie länger haltbar ist. Auf der einen Seite entsteht dadurch zwar Plastikmüll, auf der anderen Seite kann Lebensmittelverschwendung vermieden werden.
Gumbert: Das stimmt – die Plastikfolie an der Gurke ist einerseits ein Versuch, auf unsere Alltagspraktiken einzugehen, indem wir die Möglichkeit haben, flexibler mit dem Lebensmittel umzugehen. Gleichzeitig ist die eingepackte Gurke ein Indikator dafür, wie das dahinterliegende Versorgungssystem aussieht. Die Folie hält das Produkt nicht nur länger frisch, sondern schützt es auch beim Transport über längere Strecken vor Beschädigung. Wir kennen das alle – wenn eine beschädigte Gurke neben einer unbeschädigten Gurke liegt, greift man eher zur unbeschädigten Gurke. Die Frage ist, wie wir zukünftig Versorgungssysteme mit Nahrungsmitteln gestalten wollen. Wenn wir akzeptieren, dass unser Gemüse weite Wege zurücklegt, dann geht es nicht ohne Plastikfolie. Wenn wir auf Plastikfolie verzichten wollen, heißt das gleichzeitig, dass wir langfristig auf regionale Versorgungsstrukturen umstellen müssen, um lange Transportwege zu vermeiden.
Immer mehr Personen nutzen für ihren Kaffee unterwegs einen Mehrwegbecher – eine positive Entwicklung?
Gumbert: Ja und nein. Entscheidend ist vor allem die Nutzungsdauer. Man sollte einen wiederverwendbaren Coffee-to-go-Becher 40- bis 60-mal benutzen, damit sich die Umweltbilanz im Verhältnis zur Produktion rechnet. Oft scheitert man allerdings an der Alltagspraxis. Viele Kaffeetrinker greifen in bestimmten Situationen trotzdem auf Einwegbecher zurück – zum Beispiel, wenn sie fürchten, dass der Mehrwegbecher in der Tasche auslaufen könnte, oder wenn sie ihn schlicht zu Hause vergessen haben. Wir müssen unser Konsumverhalten immer wieder selbstkritisch beobachten. Ein einfacher Ausweg aus dem Becher-Dilemma wäre, unterwegs weniger oder keinen Kaffee zu trinken.
Idies: Die Nutzungsdauer hängt auch vom Material der Mehrwegbecher ab. Plastik – woraus viele Mehrwegbecher ganz oder teilweise bestehen – hat die Eigenschaft, Farben und Gerüche schnell aufzunehmen. Dadurch können Becher schon nach kurzer Nutzungsdauer einen unangenehmen Geschmack annehmen, weshalb sie nicht so oft wiederverwendet werden, wie es theoretisch möglich wäre. Verlockend ist außerdem, dass es beispielsweise beim Bäcker kombinierte Angebote gibt – Becher inklusive Kaffeefüllung für fünf Euro. Dadurch ist man schnell geneigt, immer wieder neue Becher zu kaufen. Es entstehen fließende Grenzen zwischen Einweg- und Mehrwegbecher.
Ähnlich wie beim Mehrweg-Kaffeebecher ist in den letzten Jahren auch die Nachfrage nach Alternativen zur Plastiktüte gestiegen. Sind Papiertüten die bessere Wahl an der Supermarktkasse?
Gumbert: Nein, Papiertüten sind in der Herstellung aufwendiger, werden jedoch selten mehrfach verwendet. Plastiktüten, die aus einem festeren Kunststoff sind, benutzt man im Schnitt wenigstens drei- bis fünfmal. Papier hat außerdem die Eigenschaft, andere Stoffe aufzusaugen. Pizzakartons etwa sind nach der Verwendung oft so stark angefettet, dass die Pappe nicht mehr recycelt werden kann. Solche verunreinigten Materialien können nur noch verbrannt werden.
Wie sieht es aus mit Jutebeuteln? Der NABU bilanzierte bereits, dass Stoffbeutel durch den hohen Wasserverbrauch und den intensiven Pestizideinsatz eine viel schlechtere Klimabilanz in der Produktion haben als Plastikbeutel, obwohl ihr Image deutlich besser ist.
Gumbert: Auch da ist es eine Frage der Alltagspraxis. Jutebeutel sind mittlerweile leider ein großer Werbeträger und viele haben mittlerweile 20 bis 30 Taschen zu Hause. Man müsste eigentlich grundsätzlich in jedem Rucksack und in jeder Tasche einen Beutel aufbewahren, um diesen nicht zu vergessen. Gleichzeitig sollte man weitere Beutel ablehnen, wenn man sie vollgepackt mit Werbematerial angeboten bekommt. Es ist ähnlich wie bei den Kaffeebechern – wenn man davon drei oder vier hätte und sie häufig nutzen würde, dann spricht nichts dagegen.
Wie gut kann man Plastik wiederverwerten?
Idies: Man kann prinzipiell beinahe jede Art von Plastik recyceln. Probleme bereitet die Verbindung von verschiedenen Plastiksorten, da diese erst getrennt werden müssen. Recyceltes Plastik darf aus hygienischen Gründen jedoch nicht oder nur sehr eingeschränkt für Lebensmittel verwendet werden. Außerdem kann Plastik nicht beliebig oft recycelt werden. Mit jedem Durchgang nimmt die Qualität ab und das Plastik wird poröser. Zudem ist Recycling letztlich eine wirtschaftliche Frage. Sobald die Anwendung bestimmter Recycling-Technologien teurer ist als der Gewinn, wird Recycling leider uninteressant, obwohl es ökologisch womöglich noch sinnvoll wäre.
Gumbert: Verbesserte Recycling-Strukturen lösen außerdem nicht das Plastikproblem. Die Vorstellung einer Welt, in der es keinen Müll mehr gibt und in der alle Rohstoffe wiederbenutzt werden können, ist eine Illusion. Wir müssen in erster Linie bei der Müll- und Plastikvermeidung ansetzen und nicht bei der Wiederverwertung.
Immer öfter hört man von Walen, in denen große Mengen Plastik gefunden wurden, oder von riesigen Plastikinseln im Meer. Kann man das Problem überhaupt noch in den Griff bekommen?
Gumbert: Der Plastikmüll im Meer hat die Diskussion über den Umgang mit Kunststoffen in den vergangenen Jahren stark bestimmt und positiv vorangetrieben. Gesellschaften tun sich schwer mit der Beantwortung der Frage, wie wir mit dem Müll im Meer umgehen sollten. Der Einsatz von Schleppern und Netzen trägt zur Zerstörung von Ökosystemen bei. Viele Meeresbiologen fordern daher, den Müll im Meer zu lassen – das sehe ich ähnlich. Das Plastik wird früher oder später auf den Meeresgrund sinken. Wir müssen jetzt den Anblick aushalten, dass die Meere verschmutzt sind, und alles dafür tun, dass sie nicht noch stärker verschmutzen.
Idies: Das Bild von Plastikinseln suggeriert zudem, dass es einen ganzen Kontinent aus Plastik gibt. So ist es nicht. Es gibt Gebiete mit erhöhter Plastikkonzentration. Wenn man an größere Plastikgegenstände denkt, klingt es logisch, sie herauszuholen. Das ist aber nicht der Fall – etwa 95 Prozent ist Mikroplastik, das nicht entfernt werden kann, ohne zugleich in neue Ökosysteme einzugreifen, die mit Plastik verwoben sind.
Schätzungen zufolge verursachen allein China, Indonesien, die Philippinen, Thailand und Vietnam 60 Prozent des Plastikmülls weltweit, der zum Großteil im Meer landet. Was nützen vor diesem Hintergrund unsere Bemühungen in Europa?
Idies: Ein nicht unerheblicher Anteil dieses Plastikmülls wurde zuvor aus Europa oder Nordamerika exportiert, weshalb zum Beispiel China ab Anfang 2018 mit einem Importstopp reagiert hat. Viele plastikbasierte Konsumgüter für den europäischen Markt werden zudem in Asien produziert. Es wäre zu einfach, die Ursachen der Plastikverschmutzung in Südostasien zu verorten und die Lösung derweil in europäischen oder westlichen Entsorgungs- oder Verwertungstechnologien zu sehen. Klare Verantwortungszuschreibungen sind kaum möglich. Die Frage müsste daher beispielsweise eher lauten: Wie könnten wir in Europa dafür sorgen, dass unser Plastikmüll nicht andernorts wiederauftaucht?
Gumbert: Dementsprechend muss es darum gehen, das Material, was in der EU genutzt wird, auch in der EU zu verwerten. Gleichzeitig müssen die globalen Wege, die Sekundär-Kunststoffe (noch) zurücklegen, transparent gemacht werden, und trotzdem sollten wir Staaten in Ost- und Südostasien weiterhin Unterstützung beim Aufbau von Recycling-Infrastrukturen anbieten, sofern diese notwendig und gewünscht ist.
Was kann jeder Einzelne gegen das Plastikproblem tun?
Gumbert: Gemeinsam handeln! Es ist ein Irrglaube, dass die Summe individueller Entscheidungen das System verändern wird. Wir müssen verstehen, wie das eigene Handeln, Denken und die Alltagspraxis mit globalen Strukturen zusammenhängen. Das betrifft den Umgang mit Nahrungsmitteln, Strom oder Wasser. Man sollte nicht alles auf individuelle Konsumentscheidungen reduzieren oder stets auf die Verantwortung anderer verweisen. Wir können bereits viel erreichen, wenn wir uns mit anderen organisieren.
Idies: Das sehe ich ähnlich. Als Gesellschaft können wir uns dafür stark machen, Strukturen zu ändern, die für bestimmte Konsummuster verantwortlich sind. Ein Beispiel sind öffentliche Trinkwasserstellen – wenn es davon mehr geben würde, wäre es einfacher, unterwegs an Wasser zu kommen. Das könnte andere Leute motivieren, dauerhaft eine auffüllbare Trinkflasche anstelle von Plastikflaschen zu nutzen. Nachhaltiger Konsum hört nicht an den Grenzen des Privaten auf.
Dieser Artikel stammt aus der Unizeitung „wissen|leben“ Nr. 4, 5. Juni 2019.