Die Persönlichkeit von Geflüchteten beeinflusst, wie gut Integration gelingt
Geflüchtete, die risikobereiter sind, eher Gefälligkeiten erwidern und stärker als andere davon überzeugt sind, das eigene Leben im Griff zu haben, integrieren sich schneller in die Gesellschaft. Das zeigt eine Studie auf Basis von Daten der „IAB-BAMF-SOEP-Befragung Geflüchteter in Deutschland“, die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster (WWU), der Universität des Saarlandes und des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) Berlin erstellt haben. Die Studie ist in der Fachzeitschrift „Collabra: Psychology“ erschienen.
Die „IAB-BAMF-SOEP-Befragung Geflüchteter in Deutschland“ ist die größte repräsentative Wiederholungsbefragung von Geflüchteten, die in den Jahren 2013 bis 2016 nach Deutschland gekommen sind. Um herauszufinden, welche Faktoren zu einer gelingenden Integration beitragen, hatten die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen die Angaben von mehr als 4.000 Studienteilnehmenden ausgewertet, die zur Zeit der Befragung im Durchschnitt seit 1,5 Jahren in Deutschland lebten.
„Unsere Studie belegt erstmals, dass neben sozio-demographischen Faktoren auch individuelle Persönlichkeitsmerkmale eine wichtige Rolle für eine gelingende Integration von Geflüchteten spielen“, sagt die Psychologin Elisabeth Hahn von der Universität des Saarlandes, Erstautorin der Studie.
Der Studie zufolge finden zum Beispiel Geflüchtete, die risikobereiter sind als andere, schneller Arbeit und haben mehr soziale Kontakte zu Einheimischen. Auch Schutzsuchende, die stärker davon überzeugt sind, das eigene Leben unter Kontrolle zu haben und eher Gefälligkeiten anderer erwidern, finden leichter Zugang in die Gesellschaft als andere: Sie haben mehr Freunde, ein stärkeres Selbstbewusstsein, sind zufriedener und gesünder.
Die häufig traumatischen Erlebnisse auf der Flucht und die neuen, unbekannten Lebensumstände belasten Geflüchtete stark. „Wenn Menschen jedoch davon überzeugt sind, auf ihr Schicksal Einfluss nehmen zu können, haben sie einen viel größeren Handlungsspielraum als wenn sie glauben, den Umständen ausgeliefert zu sein“, erklärt David Richter vom SOEP am DIW Berlin. „Darüber hinaus scheint eine generelle Tendenz, auch mal ein Risiko einzugehen und auf freundliche Menschen mit Freundlichkeit zu reagieren, im schwierigen Prozess der Integration hilfreich zu sein“, ergänzt Studienautor Mitja Back von der WWU.
Die Studie bestätigt auch eine Reihe von Ergebnissen aus früheren Untersuchungen zur Integration von Zugewanderten, die auch für die Gruppe der jüngst nach Deutschland Geflüchteten gelten: „Menschen, die schon länger in Deutschland leben, integrieren sich leichter als andere“, sagt Jürgen Schupp, Vize-Direktor des SOEP. Außerdem tragen bessere Sprachkenntnisse und eine bereits im Heimatland erworbene gute Bildung maßgeblich zu einer gelingenden Integration bei. Auch das Geschlecht spielt offenbar eine Rolle: So gehen geflüchtete Frauen seltener einer Erwerbstätigkeit nach und haben auch weniger soziale Kontakte.
„Die Religionszugehörigkeit zum islamischen oder christlichen Glauben stand in keinem Zusammenhang mit dem Ausmaß der Integration“, betont Mitja Back. „Dies steht im Kontrast zu gängigen Vorurteilen in der aufnehmenden Gesellschaft.“
Geflüchtete, die dauerhaft in Deutschland bleiben möchten, finden derzeit Unterstützung in unterschiedlichen Lebensbereichen – etwa beim Erwerb von Sprachkenntnissen oder der Arbeitssuche. Auf Grundlage ihrer Studie fordern die Autorinnen und Autoren, dass auch die individuell unterschiedlichen Persönlichkeitsmerkmale der Geflüchteten in Integrationsprogrammen berücksichtigt werden. „Im Rahmen der Flüchtlingshilfe sollten die persönlichen Ressourcen und sozialen Kompetenzen, die diese Menschen mitbringen – wie zum Beispiel die Fähigkeit, Kontakte zu anderen zu knüpfen – weiter gefördert werden“, betont Elisabeth Hahn.
Originalpublikation:
E. Hahn et al. (2019). Predictors of Refugee Adjustment: The Importance of Cognitive Skills and Personality. Collabra: Psychology, 5(1), 23. DOI: 10.1525/collabra.212