"Wie wichtig die Religion im Recht ist, hätte ich so nie gefragt"
Wer in das Büro von Rechtswissenschaftler Nils Jansen kommt, erkennt auf einen Blick: Hier wird schwer gearbeitet. In einem Halbkreis um den Schreibtisch hat der Direktor am Institut für Rechtsgeschichte der WWU Bücher, Zeitschriften, Kladden verteilt und zu Häufchen gestapelt. Hugo Grotius’ Schrift „De iure belli ac pacis“ von 1625 ist darunter, Band 1 von Jeremy Benthams „Moral, Political and Legal Philosophy“, aber auch sein am Exzellenzcluster entstandener Band „Theologie, Philosophie und Jurisprudenz in der spätscholastischen Lehre von der Restitution“. Auf dem Tisch eine Aluminiumflasche, daneben eine Keksdose. Alles in allem: Ein Bühnenbildner hätte eine Gelehrtenstube nicht typischer ausstaffieren können – bis zur Topfpflanze mit schlaff herunterhängenden Blättern.
Nils Jansen wirkt dafür umso dynamischer. Er redet schnell und geschliffen, die hanseatische Sprachfärbung verrät seine familiären Wurzeln. Die Literatur auf dem Parkett wiederum lässt darauf schließen, welche Fragen ihn umtreiben: Warum und wie hat sich das Recht als eigenes gesellschaftliches System ausgebildet? Ausgehend von juristischen Traktaten der spanischen Spätscholastik im 16. Jahrhundert verfolgt er die Entstehung säkularer Rechtssysteme aus katholischen Naturrechtstheorien. „Jahrhundertelang wurden die Schriften in Deutschland kaum wahrgenommen, weil die Spätscholastik mit ihren gegenreformatorischen Zielsetzungen als verdächtig galt. Aber man versteht die Rechtsentwicklung damit sehr viel besser.“ Nils Jansen untersucht dies am Beispiel der „Restitutionslehre“, die den rechtlichen Gedanken der Wiedergutmachung eines Schadens in den theologischen Kontext von Beichte und Buße hineinträgt: ohne Restitution keine Absolution – dieses Prinzip machte das spätscholastische Naturrecht zum Bestandteil eines geistlichen Regimes, das den Alltag der Menschen bestimmte. Priester entschieden, ob die rechtlichen Bedingungen (Restitution) für ein geistliches Handeln (Absolution) erfüllt waren.
Wichtige Arbeit an den Quellen leistet Nils Jansen, indem er zentrale spätscholastische Publikationen wie die Schrift „De iustitia et iure“ des niederländischen Jesuiten Leonard Lessius (1554 bis 1623), eines Vordenkers des Naturrechts wie auch der Wirtschaftsethik, kritisch ediert und mit einer Übersetzung herausgibt. Im Exzellenzcluster ist der gebürtige Hannoveraner Mitglied der ersten Stunde, einer der Hauptantragsteller bereits in Runde eins. Die Atmosphäre damals, vor gut zehn Jahren, charakterisiert er als „Goldgräberstimmung“ – auch für ihn. „Ich habe seither Bücher geschrieben, die ohne die interdisziplinäre Zusammenarbeit im Exzellenzcluster nicht entstanden wären. Wie wichtig die Religion im Recht ist, das hätte ich wahrscheinlich so nie gefragt, wenn ich nicht an diesen lebendigen Verbund geraten wäre.“
Seit 2010 arbeitet Nils Jansen im Vorstand des Exzellenzclusters mit und will auch künftig Verantwortung übernehmen, wenn es um die Ausgestaltung des Verbundes geht. Dieses Engagement habe für ihn mit Anstand und Redlichkeit zu tun, betont Nils Jansen. Gleichwohl habe der Einsatz für den Wissenschaftsverbund auch belastende Seiten, es koste Zeit und Kraft. „Aber ich habe durch den Exzellenzcluster einen solchen Gewinn an Erkenntnissen, Fördermitteln und an Reputation erlangt, dass ich etwas zurückgeben möchte.“
Über einen Mangel an Ansehen kann sich Nils Jansen, der 2015 in die nordrhein-westfälische Akademie der Wissenschaften und der Künste aufgenommen wurde, tatsächlich nicht beklagen. Auf dem Feld der internationalen Rechtsvergleichung ist es sehr bekannt. Einen Großteil seiner Literatur hat Nils Jansen, der in Cambridge und ein halbes Jahr an der Duke University im USBundesstaat North Carolina gearbeitet hat, auf Englisch verfasst. Vor einigen Jahren erhielt er die Chance auf eine Professur in Oxford, wo er 2009 Visiting Professor war. Der Ruf lag vor. Doch Nils Jansen lehnte die „akademische Traumstelle“ ab – aus familiären Gründen. Auf seine Frau und seine drei Töchter sah er in einem Land, das sich „zunehmend vom europäischen Kontinent wegbewegt“, zu viele Schwierigkeiten zukommen.
So ist der Rechtshistoriker mit sich und dem Verbleib in Münster im Reinen und verfolgt neue Pläne: In seinen Forschungen am Exzellenzcluster will er sich mit Rechtsideen universeller Gerechtigkeit befassen – von der Antike bis zu den Menschenrechten der Gegenwart.
Autor: Joachim Frank