September 2024 | Zwölf Monate, zwölf Menschen | Porträt über Dr. Daniel Kluger
September 2024 | Zwölf Monate, zwölf Menschen | Porträt über Dr. Daniel Kluger

Mehr als reine Kopfsache

Dem Zusammenspiel von Gehirn und Körper ist Dr. Daniel Kluger auf der Spur. Der Europäische Forschungsrat hat ihm im September einen „ERC Starting Grant“ zugesprochen. Damit kann der Psychologe in den kommenden Jahren eine eigene Forschungsgruppe aufbauen.
Am liebsten in der Natur und stets bergauf – Daniel Kluger besteigt leidenschaftlich gerne hohe Berge, darunter die Gipfel des Himalayas. In Münster hat er im Alpinum des Botanischen Gartens der Universität Münster einen Rückzugsort gefunden, der ihm die Möglichkeit gibt, seiner Leidenschaft für die Berge ein wenig nachzugehen.
© Nike Gais

Schon als Kind war die Natur für Dr. Daniel Kluger ein wichtiges Element, um glücklich und ausgeglichen zu sein. „Es gibt Fotos, auf denen ich mit eineinhalb Jahren in den französischen Alpen grundzufrieden auf Berge starre“, erinnert er sich. Mit der Natur im Einklang sein, Körper und Geist im Gleichgewicht: Dieses Zusammenspiel fasziniert ihn heute wie damals. Zu verstehen, wie das Gehirn funktioniert, ist die Berufung von Daniel Kluger. Am Institut für Biomagnetismus und Biosignalanalyse der Medizinischen Fakultät erforscht er das Zusammenspiel der Hirnaktivität mit den vielfältigen dynamischen Prozessen im Körper. Dass er beruflich in der Forschung landen würde, war nicht geplant. „Während meines Psychologiestudiums saß ich in einer Vorlesung von Prof. Dr. Ulrich Mußhoff. Er referierte über die komplexe Entwicklung des Gehirns. Ich fing vom ersten Moment an Feuer. Das war der Wendepunkt für mich: Ich will Forscher werden und nicht Psychotherapeut“, betont der 35-Jährige.

Das Forscherleben hat es gut mit ihm gemeint. Im September erhielt er vom Europäischen Forschungsrat (ERC) einen „ERC Starting Grant“. Die Förderung in Höhe von 1,5 Millionen Euro ermöglicht es dem Wissenschaftler, eine eigene Arbeitsgruppe aufzubauen. „Im Körper gibt es viele rhythmische Prozesse wie die Atmung oder den Herzschlag. Sie erfüllen nicht nur überlebenswichtige Funktionen, sondern beeinflussen auch die neuronale Verarbeitung im Gehirn und steuern so das menschliche Verhalten“, erklärt Daniel Kluger. Diese Gehirn-Körper-Zustände will er nicht nur verstehen, sondern auch im Kontext verschiedener neuropsychiatrischer Störungsbilder, etwa Epilepsie und Angsterkrankungen, erarbeiten. „Die engen Zusammenhänge zwischen der psychischen und körperlichen Gesundheit zeigen, dass unsere Gedankenwelt eben nicht ‚reine Kopfsache‘ ist, sondern als Teil des dynamischen körperlichen Systems untrennbar mit diesem verknüpft ist.“

Dass Daniel Kluger seine Arbeitsgruppe nun nach seinen Vorstellungen aufbauen kann, erfüllt ihn mit großer Dankbarkeit und Freude. „Es war ein glücklicher Zufall, dass ich den Antrag beim Europäischen Forschungsrat gestellt habe“, sagt er. Ermutigt habe ihn eine Professorin aus Maastricht, mit der er auf einer Konferenz in Italien ins Gespräch gekommen sei. „Ich sollte ihr unverbindlich mein Forschungsexposé und meinen Lebenslauf schicken.“ Gesagt, getan. Sie ermutigte ihn, einen Antrag einzureichen.

Es gibt viele Gründe, warum das Gehirn für Daniel Kluger das faszinierendste Organ des menschlichen Körpers ist. Zwei Beispiele machen es deutlich: Es besitzt rund 90 Milliarden Zellen, und die Länge aller Nervenbahnen im Gehirn eines Erwachsenen beträgt rund 5,8 Millionen Kilometer – das entspricht dem 145-fachen Erdumfang. „Allein dieses Wissen übersteigt oft das Vorstellungsvermögen. Deshalb kann ich mir nichts Spannenderes vorstellen, als so viel wie möglich über dieses Organ herauszufinden“, sagt er. Am Institut für Biomagnetismus und Biosignalanalyse steht ihm dafür ein Magnetenzephalograph, kurz MEG, zur Verfügung. Insgesamt 275 Sensoren und über 1.000 Messpunkte pro Sekunde in jedem Sensor messen die Hirnaktivität räumlich und zeitlich hochaufgelöst. „Mit dem MEG können wir Dinge messen, die bisher nicht möglich waren. Zusammenhänge aus dem Alltag, etwa warum wir beim Bogenschießen kurz die Luft anhalten oder beim Heben eines schweren Gewichts ausatmen, können wir nun besser erklären“, betont Daniel Kluger.

Im Labor zu stehen und live zu beobachten, wie das Gehirn funktioniert, ist für Daniel Kluger die treibende Kraft. Vor allem wenn die Grundlagenforschung eines Tages Anwendung findet und Patientinnen und Patienten hilft, gesund zu werden. Genauso wichtig ist ihm die Work-Life-Balance seiner Arbeitsgruppe. Dafür hat sein Team ein Handbuch, das sogenannte Lab-Handbook, entwickelt, in dem Regeln für ein langfristiges Wohlbefinden festgehalten sind – „eine Art Philosophie, die wir hier leben“, erklärt er. Festgeschrieben ist dort unter anderem, wie ein respektvolles Arbeitsumfeld geschaffen und erhalten werden kann.

Ein Aspekt, der wohl für viele Bereiche der Wissenschaft gilt, besonders aber für die Hirnforschung, ist, dass auf jede Antwort viele neue Fragen folgen. Es verhält sich wie beim Wandern oder Trekking – nach jedem Berg kommt ein neuer Gipfel. „Ich mag es, wenn es bergauf geht. Und zwar in jeder Hinsicht.“

Dr. Kathrin Kottke


Dieser Beitrag stammt aus der Broschüre „Zwölf Monate, zwölf Menschen“, erschienen im Februar 2025.

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