Offene Rechnung mit Tokio

Ein ZEIT-Journalist schrieb einst über die Disziplin des 400-Meter- Laufs: „Das ist eine zutiefst unmenschliche Disziplin, für die der menschliche Körper nicht gemacht ist.“ Für Fabian Dammermann gilt das nicht: Die Stadionrunde ist seine Paradestrecke. „Der Autor drückt es dramatisch aus, aber er beschreibt den besonderen Charakter der Disziplin treffend“, betont der frischgebackene „Master of Education“ in Sport und Sozialwissenschaften. Der 27-Jährige hat nicht nur den Sprung in den Leistungssport geschafft, sondern im August 2024 auch sein bisheriges Karriere-Highlight erlebt: die Teilnahme an den Olympischen Spielen in Paris mit dem Staffel-Team. Für Leichtathletinnen und -athleten sei Olympia „der ultimative Traum“.
Fabian Dammermann denkt mit gemischten Gefühlen an Paris zurück. „Nachdem ich die Qualifikation für Olympia in Tokio knapp verpasst hatte, war ich stolz darauf, als ich im Sommer 2024 erfuhr, dass ich dabei bin.“ Die Tatsache, dass die deutsche Staffel knapp das Finale verfehlte und er als Ersatzmann zuschauen musste, beschäftigt ihn bis heute. „Ich war in einer Top-Verfassung, und ich wollte mein Können auf der Bahn zeigen. Daher fühlt es sich wie unfinished business an“, erzählt er. Umso motivierter sei er für die nächsten Spiele in Los Angeles. „Ich bin es gewohnt, mein ganzes Leben nach diesen Highlights auszurichten. Da wir uns für Olympia, Welt- oder Europameisterschaften qualifizieren müssen, wissen wir aber oft erst spät, ob sich die Arbeit gelohnt hat“, schildert der 27-Jährige. „All or nothing“ sei in seinem Sport oft die Devise.
Leichtathletinnen und Leichtathleten gelten gemeinhin als Einzelkämpfer. Fabian Dammermann bezeichnet sich dagegen als Teamplayer. In seiner Kindheit in Osnabrück kam er durch eine Schul-AG zur Leichtathletik und blieb, weil ihm das Training in der Gruppe so gut gefiel. Leistungssportler wurde er nach eigener Aussage, weil sei Trainer ihn „mit einem Platz in der 4x400-Meter-Staffel köderte“. Er habe es genossen, unterschiedliche Disziplinen in der Leichtathletik zu probieren. „Ich wäre gerne bei der Hundert-Meter-Strecke geblieben“, erinnert er sich. Aber auf der kurzen Distanz sei er nicht schnell genug gewesen. „Ich weiß noch, dass ich überhaupt keine Lust hatte, als mich mein Trainer für die 400-Meter-Staffel aufstellte.“
Letztlich entpuppte sich die Entscheidung im doppelten Sinn als Glücksgriff. Mannschaftsspieler Fabian Dammermann fand im Sport der Einzelkämpfer seine Nische. „Zudem realisierte ich, dass ich über die Stadionrunde mit hartem Training vergleichsweise mehr erreichen kann.“ Es folgte die Qualifikation für die Deutschen Meisterschaften 2014. „Dort leckte ich zum ersten Mal Blut und begann mit ernsthaftem Leistungstraining.“ In der Pubertät entwickelte sich sein Körper schnell, Fabian Dammermann legte einen beträchtlichen Leistungssprung hin. 2016 machte er Abitur und wurde deutscher Hallenmeister in der Gruppe der unter 20-Jährigen. Im Anschluss folgte die erste Nominierung für die deutsche U20-Nationalmannschaft. Der Durchbruch von den Junioren in die Männerklasse kam schnell. In seinem zweiten Profijahr gewann er mit der Staffel den Europameistertitel. „In dieser Zeit drückte ich meine Bestleistung um eine Sekunde, was über 400 Meter ein riesiger Leistungssprung ist“, betont er.
Auch wenn ihm zwischenzeitlich Verletzungen zu schaffen machten, fühlt sich Fabian Dammermann bereit für höhere Ziele. „In dieser Saison wollen wir die Qualifikation für die WM 2025 in Tokio schaffen. In Japan möchte ich eingesetzt werden und das Finale erreichen.“ Die Motivation zieht er auch aus einer Niederlage. „2021 verpasste ich um Haaresbreite die Qualifikation für die Olympischen Spiele in Tokio, ich habe also noch eine Rechnung offen“, betont er. In seine Pläne passt, dass er sich in diesem Jahr erstmals auf den Sport konzentrieren kann. Mittelfristig steht das Referendariat an. Wie sich das Lehrerdasein mit dem Spitzensport verträgt, ist schwer abzusehen. Eins ist indes sicher: Als Spitzensportler und Olympionike taugt er zum Vorbild.
Hanna Dieckmann
Dieser Beitrag stammt aus der Broschüre „Zwölf Monate, zwölf Menschen“, erschienen im Februar 2025.
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