In der Forschung grenzenlos
Es gibt offenbar viele junge Menschen, die gerne Teil der „Glorius Group“ wären. Sehr viele sogar. Chemieprofessor Frank Glorius erhält nahezu täglich Anfragen. Und so sagt er zahlreichen Bewerbern aus aller Welt ab – jedes Jahr weit mehr als 1000 Mal.
Die jungen Leute, die es in seine Gruppe schaffen, sind herausragend gut, hoch motiviert und haben das volle Vertrauen ihres Mentors. Das Einzige, was er von allen verlange, sei ein gutes Miteinander innerhalb seines Teams, unterstreicht der 51-Jährige. „Interessiert euch für die Experimente der anderen, tauscht eure Gedanken aus.“ 69 Doktorandinnen und Doktoranden haben in der „Glorius Group“ bislang promoviert. Alle ehemaligen und derzeitigen Teammitglieder zusammengenommen, kommt Frank Glorius auf 170 Menschen, die er wissenschaftlich betreut hat oder noch betreut. Beim jährlichen Sommerfest der Gruppe treffen sich die verschiedenen Generationen des wissenschaftlichen Nachwuchses in Münster.
Frank Glorius, der morgens auf dem Weg zur Arbeit gern eine Extrarunde mit dem Fahrrad dreht, bezeichnet sich als „Hardcore-Forscher“. Er liebt die Wissenschaft; E-Mails beantwortet er oft nachts. Die Liste seiner Auszeichnungen ist lang, die Liste seiner wissenschaftlichen Publikationen ist noch länger. Die Glorius-Gruppe ist für ihre Forschung auf aktuellen Gebieten der Chemie weltweit bekannt; in vielen Projekten arbeitet sie mit Partnern aus anderen Fachdisziplinen zusammen. Zu ihren Schwerpunkten zählen die organische Photokatalyse, die Entwicklung nachhaltig herstellbarer funktionaler Moleküle und die Oberflächenchemie. Ein neues Steckenpferd ist die Chemie als Datenwissenschaft. „Ich will, dass wir auf jedem einzelnen dieser Gebiete Weltklasse sind“, betont Frank Glorius. Sein ERC Advanced Grant 2023 ist für ihn der dritte ERC Grant. Mit der Förderung des Europäischen Forschungsrats (ERC) möchte der Chemiker mit seinem Team neue Methoden der Energietransfer-Photokatalyse entwickeln und Molekülstrukturen herstellen, die sich etwa für die Herstellung von Medikamenten nutzen lassen.
Wenn man Frank Glorius, derzeit auch Dekan des Fachbereichs Chemie und Pharmazie, nach einer typischen Situation in seinem Arbeitsalltag fragt, dann schildert er diese Szene: „Ich sitze am Schreibtisch. Jemand aus meinem Team steckt den Kopf durch meine Bürotür und ich rufe ‚come in‘.“ Die Zusammenarbeit mit Menschen gefällt ihm besonders gut – sei es zum Beispiel beim Austausch mit anderen Professoren oder mit hochrangigen Vertretern der Chemie-Industrie.
Zur Chemie kam Frank Glorius „klassisch“, wie er sagt – als Kind über einen Chemiebaukasten. Damals lebte er mit seiner Familie in Walsrode in der Lüneburger Heide. Nach dem Chemiestudium in Hannover und Stanford und seiner Forschung für die Doktorarbeit am Max-Planck-Institut (MPI) für Kohlenforschung in Mülheim an der Ruhr folgte die Promotion an der Universität Basel. Weitere Stationen: Postdoktorat an der Harvard University in Cambridge (USA), Leitung einer Nachwuchsgruppe am MPI in Mülheim, ein Ruf an die Universität Marburg und schließlich der Wechsel nach Münster im Jahr 2007.
Auch zuhause ist die Chemie für Frank Glorius präsent, zum Beispiel durch das Studium seiner Zwillingstöchter – eine studiert Chemie, die andere Biochemie. Seine Frau ist leitende Chemikerin in der Industrieforschung, und der Sohn interessiert sich in der Schule für das Fach. Um auf andere Gedanken zu kommen, liest Frank Glorius nicht nur gern Nachrichtenmagazine oder lädt Gäste nach Hause ein. Er guckt mit Vorliebe auch Fernsehen – besonders Serien. „Bei der Show ‚Die Höhle der Löwen‘, bei der Jungunternehmer Geldgeber suchen, kann man zum Beispiel mit der gesamten Familie zuschauen, dabei quatschen und nebenher etwas über Wirtschaft lernen“, sagt er.
Die Chemie-Experimente, die ihn als Kind faszinierten, liebt Frank Glorius noch heute, auch wenn er inzwischen nicht mehr im Labor steht. Allerdings: So großartig die Experimente sind, so wichtig ist es, im Forscheralltag niemals die Sicherheit zu vergessen, betont er. Während seiner Doktorarbeit löste er versehentlich eine Explosion im Labor aus – allein schon deswegen nimmt er das Thema besonders ernst. Damals wurde zum Glück niemand verletzt, sodass Frank Glorius heute lachend den Spitznamen verrät, den seine Mit-Doktoranden ihm verpassten: „Im Institut haben sie mich eine Zeit lang ‚Knallfrosch‘ genannt."
Christina Hoppenbrock
Dieser Beitrag stammt aus der Broschüre „Zwölf Monate, zwölf Menschen“, erschienen im Februar 2024.
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