Die richtige Dosis finden
Eine lange Reise hatte Julia Tertünte vor sich, als sie sich im Juli auf den Weg nach Chengdu machte – satte 8.000 Kilometer vom münsterschen Prinzipalmarkt entfernt. Die 20 Millionen-Einwohner-Metropole in China war Austragungsort der FISU World University Games 2023. Schweren Herzens musste sie ihr Ruderboot „Lightning McQueen“ zuhause lassen. Doch auch das Leihboot, mit dem sie beim Wettkampf im „Leichten Einer“ gegen internationale Spitzenathletinnen antrat, führte zum Erfolg: Mit einer Zeit von 7:50.42 über 2.000 Meter sicherte sie sich den dritten Platz und brachte voller Stolz die Bronzemedaille zurück mit nach Münster.
2017 suchte die Studentin nach einer neuen sportlichen Herausforderung, nachdem sie jahrelang Leichtathletik auf Spitzenniveau betrieben hatte. Zahlreiche Verletzungen waren der Grund, etwas Neues auszuprobieren. Innerhalb nur weniger Jahre entwickelte Julia Tertünte eine ordentliche Portion Ehrgeiz und eine große Leidenschaft für den Rudersport, der ihr viel abverlangt. Denn neben dem Sport, der aus vielen Trainingsstunden und aufwendigen Wettkämpfen besteht, studiert die gebürtige Essenerin Pharmazie an der Universität Münster. Sie muss im wahrsten Sinne des Wortes die richtige Dosis finden, um beidem gerecht zu werden. „Phasenweise war es mehr als herausfordernd, Studium und Sport in Einklang zu bringen. In diesem Jahr habe ich mein Praktisches Jahr in einer Apotheke absolviert. Das bedeutete eine 40-Stunden-Woche, Prüfungsvorbereitungen und intensives Wettkampftraining für mich. Ab und an hatte ich Zweifel, ob ich das alles schaffe“, beschreibt Julia Tertünte.
Doch der Erfolg hebelte die Zweifel aus. Neben der Drittplatzierung in Chengdu nahm sie an vielen weiteren Regatten teil und beendete ihr Praktisches Jahr. „Mein Motto lautet: nicht aufgeben! Auch wenn ein Wettkampf nicht so läuft, wie ich es mir erhofft habe oder wenn die Klausur ein zweites Mal geschrieben werden muss“, sagt die 26-Jährige, „verliere ich meine Ziele nie aus den Augen.“ Kraft, die sie sowohl in der Universität als auch auf dem Wasser benötigt, schöpft sie aus ihrem Durchhaltevermögen und ihrer Motivationsfähigkeit. „Das Pharmaziestudium erfordert ein hohes Lernpensum und einen intensiven Arbeitsaufwand über mehrere Jahre. Beim Rudern ist das nicht anderes – vor allem, wenn man vorne mit dabei sein möchte“, betont das Ausnahmetalent. Energie erhält Julia Tertünte auch durch ihren Ruderverein, denn Trainer und Freunde haben großes Verständnis für ihre Situation. Der Verein sei wie eine zweite Familie für sie, sagt sie. In fast jeder freien Minute – meistens in den Abendstunden und am Wochenende – ist sie im größten Ruderclub des Münsterlandes in der Bennostraße anzutreffen oder auf dem Dortmund-Ems-Kanal. Von der Kanalpromenade kann man sie beobachten, wie sie kraftvoll Zug um Zug die Ruder ihres rund 14 Kilogramm schweren Bootes ins Wasser schlägt – jedoch verliert man sie schnell aus den Augen, wenn man nicht gerade mit dem Rad nebenher rast.
„Ich gehe jedes Mal glücklich und zufrieden zurück an Land – auch wenn ich am nächsten Tag mit Muskelkater zur Arbeit gehe oder in der Vorlesung sitze“, sagt sie schmunzelnd. Mit Blick auf die kommende Rudersaison bleibt sie gelassen. „Ich freue mich auf neue Wettkämpfe und hoffe, dass ich wieder an der Spitze mitrudern kann. Genauso gespannt bin ich auf meinen Einstieg ins Berufsleben – und hoffe sehr, dass mir der Spagat auch hier gelingt.“
Kathrin Kottke
Dieser Beitrag stammt aus der Broschüre „Zwölf Monate, zwölf Menschen“, erschienen im Februar 2024.
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