1908 – „Geehrte Kommilitonen beiderlei Geschlechtes!“ Frauenstudium an der WWU

„Geehrte Kommilitonen beiderlei Geschlechtes!“  - So begann der der Rektor der WWU, Heinrich Erman, seine Ansprache am 20. Oktober 1908. Grund für diese Anrede war die erste Immatrikulation einer Frau an der WWU Münster. Preußen, zu dem auch Münster gehörte, war, die Zulassung von Frauen zum Studium betreffend, im europäischen Vergleich eines der Schlusslichter: In Großbritannien konnten sich Frauen bereits 1848 immatrikulieren, in Frankreich war dies seit 1863 möglich, in Preußen wurde das Frauenstudium am 18. August 1908 genehmigt. Frauen konnten bis dahin Universitäten zwar als Gasthörerinnen besuchen, jedoch nicht regulär studieren – dies ging lediglich im Ausland. Diskussionen um die Zulassung von Frauen gab es auf preußischem Gebiet seit den 1860er Jahren. Gerade für unverheiratete Frauen aus dem Bürgertum war ein Studium interessant, da dieses ihnen ermöglichen würde, selbst und vor allem standesgemäß, zum Beispiel als Ärztin oder Lehrerin, für ihren Lebensunterhalt zu sorgen.

Nach dem Beginn der Diskussionen um ein Frauenstudium sollte es noch mehrere Jahrzehnte dauern, bis dieses ermöglicht wurde. Das lag an dem Frauenbild, das unter anderem durch das Kaiserhaus propagiert wurde – vor allem auf männlicher Seite war die Ablehnung eines Frauenstudiums groß und auch Kaiser Wilhelm II. und sowie seine Gattin, Kaiserin Auguste Viktoria, lassen sich in diesem Lager vermuten. Frauenrechtlerinnen wie Clara Zetkin zitierten die Kaiserin, diese lege den Frauen die „vier K“ nahe: Kirche, Kinder, Küche und Kleider. Auch Kaiser Wilhelm II. wird in der Fachliteratur unter anderem mit der Aussage zitiert, die Hauptaufgaben der Frauen lägen in der stillen Arbeit Zuhause und in der Familie, nicht aber im Erreichen der gleichen Rechte wie die Männer.

Mit der Zulassung der Frauen zum Studium an preußischen Universitäten öffnete auch die WWU ihre Hörsäle für Studentinnen: im Wintersemester 1908/09 schrieben sich dort sechs Studentinnen ein – ihnen standen 1713 Studenten gegenüber. Die erste ordentliche Studentin an der WWU war die Osnabrückerin Auguste Rannenberg, die Mathematik studierte. Die Zahl der Studentinnen stieg schnell, bereits 1914 waren sechs Prozent der Studierenden an der WWU weiblich. Besonders beliebt war unter den Studentinnen das Studium des Lehramts oder (ab 1925) der Medizin; die erste höhere Lehramtsprüfung legte die Studentin Hedwig Montag ab und als erste Frau wurde Johanna Richter 1909 in Indogermanischer Sprachwissenschaft in Münster promoviert.

Unter den preußischen Studentinnen waren vor allem Protestantinnen und Jüdinnen stark vertreten, Katholikinnen jedoch unterrepräsentiert. Hier unterschied sich Münster allerdings von den restlichen preußischen Universitäten: die Mehrheit der Studentinnen (sowie der Studenten) war katholisch. Zudem kam es zwischen 1909 und 1918 zur Gründung von sechs Studentinnenverbindungen, von denen die letzten jedoch 1933 aufgelöst wurden.

Während des Ersten Weltkriegs und vor allem in der Weimarer Republik erlebte das Frauenstudium einen Aufschwung, nicht zuletzt, da es Frauen ab 1920 erlaubt war, zu Habilitieren. Zwei Jahre später stand ihnen das Amt einer Staatsanwältin oder Richterin frei, zudem wurde das Heiratsverbot für Lehrerinnen zeitweise aufgehoben, womit das entsprechende Studium zusätzlich an Attraktivität gewann.  

Der Anteil weiblicher Studierender stieg in Münster stetig: Im Wintersemester 1931/32 waren 21,42% der Studierenden in Münster Frauen, während an den übrigen preussischen Universitäten der Anteil nur bei 18,8 % lag.

 

Literatur:

Happ, Sabine; Jüttemann, Veronika (Hgg.): „Laßt sie doch denken!“ 100 Jahre Studium für Frauen in Münster. (=Veröffentlichungen des Universitätsarchivs Münster, Bd. 2) Münster 2008.

Paletschek, Sylvia: Kinder – Küche – Kirche, in: Etienne Francois (Hrsg.): Deutsche Erinnerungsorte. München: Beck, Bd. 2 (2001), S. 419-433.

Weitere Informationen finden Sie zudem auf der Seite des Universitätsarchivs Münster: https://www.uni-muenster.de/Archiv/Frauenstudium.html