(C7) Wandel religiöser Mentalitäten und Konfessionskonflikte im 16. und 17. Jahrhundert. Eine strukturalistische Analyse
Jenseits der Glaubensspaltung des frühen 16. Jahrhunderts erfuhr die Glaubenspraxis in Westeuropa vom 15. zum 17. Jh. einen tiefgreifenden Wandel. Mit unterschiedlicher Akzentuierung bei den einzelnen Konfessionen, aber dennoch mit gemeinsamer Grundtendenz bezogen sich Glaubensinhalte zunehmend weniger auf Handlungen, die eine Beziehung zwischen Diesseits und Jenseits herstellten, sondern stärker auf universelle Inhalte. Dabei wurden sie logisch systematisiert und mit moralischen Forderungen verbunden; im Zuge einer „normativen Zentrierung“ (B. Hamm) steigerte sich ihre innere Kohärenz, und über den Abbau des Gradualismus führten sie zu einer schärferen Abgrenzung nach außen. Im Gleichschritt gewannen universalistische, von sozialen Primärgruppen abgelöste Frömmigkeitsformen zu Lasten von gruppenbezogenen Frömmigkeitsformen an Bedeutung.
Wegen des universalistischen, sozial generalisierten Charakters der Glaubenspraxis im konfessionellen Zeitalter bot sich der Gegensatz zwischen zwei Konfessionen für Transformationen zu zahlreichen anderen binären Elementen einer politischen Sprache an. Die Implikationen dieser Aussage sind allerdings ambivalent. Einerseits konnte sozial generalisiertes konfessionelles Glaubenswissen zur Integration gesellschaftlicher Großgruppen als „moralisiertem Universum“ (B. Scribner) und ihrer Abgrenzung nach außen dienen. Andererseits bot der Konfessionsunterschied einen Anknüpfungspunkt für zahlreiche binäre Konfliktlinien und konnte deshalb konflikteskalierend wirken. Dies traf insbesondere in Kontexten zu, in denen der Territorialstaat schwach ausgebildet war und Prozesse konkurrierender Kirchenbildung zur Ausprägung unterschiedlicher konfessioneller Milieus geführt hatten.
Auf dieser Grundlage lassen sich regional- und landesgeschichtliche Forschungen konzipieren, die den Zusammenhang zwischen der Implementierung von Kirchenreformen, Veränderung der populären Glaubenspraxis und Milieubildung sowie konfessionellen Konflikten untersuchen. Sie können in konfessionellen Grenzräumen und in Territorien mit schwacher Staatlichkeit (z. B. Nordwestdeutschland, Südwestdeutschland, schweizerische Eidgenossenschaft), zum Vergleich auch im durch Freiwilligenkirchen geprägten niederländischen Kontext angesiedelt werden. Gegenüber dem klassischen Konfessionalisierungskonzept versprechen solche Studien einen deutlichen Mehrwert, indem sie das Verhältnis zwischen Staatsbildung und Konflikt zu explizieren erlauben und den Akzent auf die Verknüpfung zwischen kirchenpolitischen Vorgängen auf der territorialen Ebene und der populären Glaubens- und Konfliktkultur auf der Ebene der ländlichen Bevölkerung legen.