(C5) Häresie und Politik. Normbegründung und Verfahrensformen in innerkirchlichen Großkontroversen des 12. bis 14. Jahrhunderts

Seit dem 12. Jahrhundert wirkten im mittelalterlichen Europa religiöse Konflikte und größere, die kirchliche Öffentlichkeit beschäftigende Kontroversen auf intellektuelle und institutionelle Entwicklungen ein. Nachwirkende Konflikte, die sowohl rechtliche wie religiöse Normativität beeinflussten, vollzogen sich vor allem im Spannungsfeld zwischen Papsttum, gelehrter Welt der Universitäten und neuen religiösen Orden und Bewegungen. Das Projekt fokussiert diese Zusammenhänge und untersucht einzelne Ausschnitte. Ziel der Arbeit ist, für die gegenläufigen, aber voneinander abhängigen Entwicklungen der Rationalisierung und charismatisch-religiösen Erneuerung in dieser Periode neue Erklärungs- und Beschreibungsmodelle zu entwickeln.

Projektschwerpunkt: Politische Häresieprozesse

Seit den Zusammenstößen von ‚Scholastik' und ‚Monastik' im 12. Jahrhundert gab es ein einigermaßen spannungsreiches Verhältnis zwischen unterschiedlichen Gruppierungen im Umkreis von Orden und Universitäten, und auch die Bettelorden gerieten in Einzelfällen mit der amtskirchlichen Hierarchie in Konflikt. Immer wieder kam es zu epistemologischen und institutionellen Krisen, die teils nur in Häresieprozessen gegen einzelne Exponenten der neuen Wissenschaft und der Orden bewältigt werden konnten. Nach ‚Theologenprozessen' des 11. und 12. Jahrhunderts kam es in der großflächigen Eskalation des Konflikts zwischen neuen Bettelorden und alteingesessenem Weltklerus (c. 1250-1300) und schließlich um die Definition des Armutsbegriffs zwischen Franziskanern und Papsttum (c. 1279 – 1327) auch zu heftigen Diskussionen um Macht und Autorität innerhalb der Kirche selbst. In einem Projektschwerpunkt zu ‚Normbegründung und Vefahrensformen in politischen Häresieprozessen' werden Aspekte der Inszenierung politischer Ordnung, Formen der Entscheidungsfindung und Strategien der Normbegründung in einschlägigen innerkirchlichen Auseinandersetzungen untersucht.

 

Habilitationsprojekt: Die Kontroverse zwischen Weltklerus und Bettelorden als katalytischer Konflikt (Frankreich, c. 1250-1300)

Die heftige Kontroverse zwischen Weltklerus und Bettelorden, die besonders im Umfeld der Universität Paris seit der Mitte des 13. Jahrhunderts hohe Wogen schlug, speiste sich aus diversen lokalen Kleinkonflikten, führte im Verlauf mehrerer Dekaden jedoch zu einer laufend zugespitzten öffentlichen Großdebatte. Dass sie beispielsweise den Hintergrund diverser theologischer Streitigkeiten bietet, ist längst bekannt. Im Rahmen des Projektes soll der Konflikt erneut im Ganzen in den Blick genommen werden, da er in bislang unterschätzter Weise als Antrieb grundsätzlicher und wesentlicher Kompetenzaufteilungen zwischen Recht und Theologie sowie zwischen päpstlichem Zentrum und klerikaler und ordensgebundener Peripherie erscheint. Schwerpunkt der Untersuchung ist die Verknüpfung und Überlagerung unterschiedlicher Formen rechtlicher, theologischer und ‚charismatischer’ Autorität innerhalb der entstehenden innerkirchlichen Debattenöffentlichkeit des Spätmittelalters.

Sonstige Veranstaltungen zu diesem Projektschwerpunkt:

  • Session auf dem Annual Meeting der Medieval Academy of America in St. Louis, 22. bis 24. März 2012: „Branding Friars: new perspectives on mendicant identity in the medieval church“, mit Prof. Neslihan Senocak (Columbia University), Prof. Guy Geltner (Amsterdam)
  • Sessions auf dem International Medieval Congress, Leeds, 11. bis 14. Juli 2011, unter dem Rahmenthema ‚Poor – Rich’; Session 1527: Conflicts as Catalysts: Conflict and Controversy between Mendicant Orders and Secular Clergy, I; Session 1627 Conflicts as Catalysts: Conflict and Controversy between Mendicant Orders and Secular Clergy, II
  • Internationaler Workshop, 29. bis 30. April 2011, Humanities Center at Harvard, Cambridge, MA (USA): „The Making of Religion? Re-Describing Religious Change in Pre-Modern Europe“ (Tagungsbericht)
  • Internationaler Workshop, 22. bis 24. Februar 2011, Münster: „Ecclesia disputans. Die Konfliktpraxis vormoderner Synoden zwischen Religion und Politik“
  • Sessions auf dem International Medieval Congress, Leeds UK, 2009 unter dem Rahmenthema 'Heresy and Orthodoxy': Session 109: Dangerous Doctrines, I: Heresy Trials as Fields of Negotiation

 

 

Projektschwerpunkt: ‚Schriftgelehrte' und ihre Autorität - im Rahmen der Mitarbeit in der interdisziplinären Arbeitsgruppe Autorschaft

In einem zweiten Projektschwerpunkt, der Interessen mit der Arbeitsgruppe ‚Autorschaft' des Exzellenzclusters 212 teilt, (Projekte B8, B9, B10) soll der Autorität mittelalterlicher ‚Schriftgelehrter' nachgegangen werden, also solcher gelehrten Experten, deren Autorität sich auf eine besondere Befähigung zur Handhabung sakralisierter Textbestände berief.

Den grundsätzlichen epistemologischen Veränderungen mittelalterlicher Normstrukturen seit dem Hochmittelalter entsprechen bestimmte Veränderungen der Formen, in denen Gelehrte religiöse und politische Autorität für sich oder Dritte beanspruchten. Im 12. Jahrhundert veränderte sich beispielsweise die Rolle der gelehrten Bibel- und Väterexperten: In den westeuropäischen Schulen bildete sich zunehmend die Rolle des wissenschaftlich arbeitenden ‚Theologen' aus. In anderen Milieus, vor allem im Mönchtum, setzten sich gleichzeitig konkurrierende Konzepte der "existenziellen Autorisierung" (Christel Meier-Staubach) durch. Anliegen der Mitarbeit in der Arbeitsgruppe ‚Autorschaft’ ist, unterschiedliche Ansätze der Autorschaftsforschung für die Erforschung solcher Tendenzen der europäischen Wissensgeschichte fruchtbar zu machen. In Zusammenarbeit mit Kollegen aus dem In- und Ausland soll der bislang stark von westeuropäischen Forschungen geprägte Blick auf hochmittelalterliche Gelehrte auch durch eine transkulturelle Perspektive weiterentwickelt werden. Besonderes Interesse gilt dem Vergleich gelehrter Wissenskulturen im byzantinischen und lateinisch-westlichen Christentum des Mittelalters.

Relevante Veranstaltungen zu diesem Arbeitsschwerpunkt