(C2-22) Traditionstransfer in mittelalterlicher jüdischer Kompilationsliteratur (Yalqut Shimoni und Midrash ha-Gadol)

Die beiden großen mittelalterlichen exegetischen Sammelwerke, der Yalqut Shimoni, ein im 12./13. Jahrhundert im aschkenasischen Kulturraum entstandenes Sammelwerk rabbinischer Auslegungen zur gesamten hebräischen Bibel, und der Midrash ha-Gadol, ein im 13./14. Jahrhundert im Jemen verfasstes Sammelwerk rabbinischer Auslegungen zum Pentateuch, sind im Hinblick auf den Transfer von Tradition(en) in mehrfacher Hinsicht von zentraler Relevanz: Zum einen geben diese in ihrem jeweiligen kulturellen Umfeld stark rezipierten Sammelwerke Aufschluss über den innerjüdischen Transfer von Tradition(en) und das Traditionsverständnis ihrer Autoren. Zum anderen ermöglichen sie zu untersuchen, inwiefern die Auseinandersetzung mit anderen Religionen - mit dem Christentum im Falle des Yalqut Shimoni und mit dem Islam im Falle des Midrash ha-Gadol - und das jeweilige kulturelle Umfeld das innerjüdische Verständnis von ‚Tradition‘ beeinflusst haben. Auch auf christlicher Seite wurde der Yalqut Shimoni rezipiert: Er diente christlichen Theologen als Zugang zu der rabbinischen Lehre. Zudem wurde das Werk jahrhundertelang für antijüdische Polemiken missbraucht. Bis zuletzt stand der Yalqut Shimoni auf dem „Index Librorum Prohibitorum“.

Von der Forschung sind die beiden Sammelwerke bisher nur wenig beachtet worden. Da der Yalqut Shimoni und der Midrash ha-Gadol rabbinische Quellen verarbeiten, die zum Teil nur noch in diesen beiden Werken belegt sind, galt das Forschungsinteresse bislang primär der Rekonstruktion solcher Quellen anhand der beiden Sammelwerke. In dem Projekt werden hingegen erstmals Konzeption und Methodik des Yalqut Shimoni und des Midrash ha-Gadol aus einer kulturwissenschaftlichen Perspektive systematisch untersucht und die unterschiedlichen Transferprozesse von Tradition(en) in den beiden Werken vor dem Hintergrund ihres jeweiligen kulturellen Kontextes exemplarisch aufgearbeitet. Dabei wird auch der in Bezug auf die beiden Werke verwendete Begriff der ‚Kompilationsliteratur‘ neu gefasst.


Das Projekt ist Teil der Arbeitsplattform F Transkulturelle Verflechtungen und der Koordinierten Projektgruppe Transfer zwischen Weltreligionen: Aneignung – Transformation – Abgrenzung.