(A2-5) Ehekonflikte zwischen Verbrechen und Sünde: Zum Verhältnis von weltlicher und geistlicher Strafgewalt in der frühneuzeitlichen Grafschaft Lippe
Seit Wolfgang Reinhard und Heinz Schilling das Konzept der „Konfessionalisierung“ in die geschichtswissenschaftliche Forschung eingebracht haben, werden die religiös-konfessionellen Veränderungen seit der Reformation mit dem Prozess der „Herausbildung des frühmodernen Staates“ (H. Schilling) in Zusammenhang gebracht, der sich vor allem in der Zentralisierung und Verrechtlichung der Landesherrschaft konkretisierte. Diese Entwicklung lag nicht zuletzt darin begründet, dass die Leitungsgewalt über das Kirchenwesen in protestantischen Territorien auf die Landesherren überging, die sich als „Wächter über beide Tafeln“ (Melanchthon) nun befugt sahen, gleichermaßen über weltliche und geistliche Angelegenheiten zu richten. Vor allem in reformierten Territorien war der staatliche Regulierungsanspruch nicht selten mit Konflikten verbunden, zumal sich die Kirche hier besonders in der Pflicht sah, über die Reinheit der Gemeinde zu wachen und sündhaftes Verhalten wie etwa Unzucht, „Hurerey“ und Ehebruch im Rahmen einer Kirchenzucht konsequent zu bestrafen. Mit der Einführung des Calvinismus als neue Glaubensdoktrin ging deshalb oftmals eine neue Kirchen- und Eheordnung einher, die mit der weltlichen Gesetzgebung, der lokalen Volkskultur und der regionalen Rechtstradition nicht notwendig vereinbar war. Obwohl Kirche und Staat das gemeinsame Interesse verfolgten, heimliche Verlobungen sowie die Versorgung von illegitimen Kindern aus der Armenkasse zu verhindern, so bedeutete dies nicht, dass sie hierzu auch einheitliche Regeln aufstellten, die von den Untertanen gleichermaßen befolgt wurden. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, wie in der Praxis mit vielfältigen, vor allem widersprüchlichen Normen umgegangen wurde, wie überhaupt Herrschaft auf der Basis antagonistischer Ordnungsvorstellungen funktionierte und legitimiert wurde. Das Forschungsprojekt problematisiert diese Frage am Beispiel der Jurisdiktionskultur in der Grafschaft Lippe, wo sich nach der Einführung des Reformiertentums sowohl weltliche als auch geistliche Gerichte mit Ehe- und Sittendelikten auseinandersetzten.
Das Projekt ist Teil der Arbeitsplattform G Religion, Politik und Geschlechterordnung und der Koordinierten Projektgruppe Implementation und Durchsetzung von Normen.