„Aktuelle Literatur greift Religion mehr und vielfältiger auf als vermutet“
Lesereihe mit zeitgenössischen Autorinnen und Autoren startet am Dienstag: Felicitas Hoppe, Zafer Şenocak und Patrick Roth lesen im Themenjahr „Religiöse Dynamiken“ des Exzellenzclusters in Münster – Forschungen über Dynamiken des Religiösen in der Literatur
Pressemitteilung vom 18. April 2023
Zeitgenössische Autorinnen und Autoren behandeln das Thema Religion in ihren Büchern nach neuen Forschungen weit mehr und vielfältiger als vermutet. „Auf den ersten Blick scheint Religion kein Thema in der aktuellen Literatur zu sein, die den Themen und Krisen der Gegenwart zugewandt ist. Doch ein genaueres Hinsehen offenbart in Romanen, Erzählungen, Gedichten und Essays religiöse Erfahrungen und Transzendenzvorstellungen, die gerade auf unser Hier und Jetzt antworten“, sagt die Literaturwissenschaftlerin Prof. Dr. Martina Wagner-Egelhaaf zur Ankündigung einer Lesereihe ab 25. April am Exzellenzcluster. Felicitas Hoppe, Zafer Şenocak und Patrick Roth, die für ihr literarisches Schaffen viele Preise erhalten haben, lesen im Themenjahr „Religiöse Dynamiken“ des Forschungsverbundes aus ihren Werken. Sie kreisen auf unterschiedliche Weise um Dynamiken des Religiösen.
„Religion zeigt sich in zeitgenössischen Werken einerseits als existenzielle menschliche Erfahrung, andererseits als humorvolles oder kritisches Sprachspiel“, führt Martina Wagner-Egelhaaf aus, die seit Jahren über Religion und Politik in der Literatur forscht. „Religiöse Traditionen aus Judentum, Christentum oder Islam werden in oft unerwarteter Weise aufgegriffen und im Medium der literarischen Sprache neu lesbar gemacht. Die literarischen Werke reagieren, nicht anders als häufig in der älteren Literatur, auf ihre Gegenwart in Visionen, Gegenbildern und Infragestellungen von Althergebrachtem, indem sie Fragen der multikulturellen Gesellschaft, das Verhältnis von Glauben und Wissen oder Probleme der Mediengesellschaft aufgreifen. Religion dient dabei als Bildarchiv, als Denkraum und eine Möglichkeit, sich der eigenen Identität zu versichern. So setzt sich Zafer Şenocak mit dem gelebten Islam seines Vaters auseinander, fragt Felicitas Hoppe nach der Figur der Jeanne d’Arc im Wechselspiel von Religion und Politik oder lotet Patrick Roth religiöses Erleben tiefenpsychologisch aus.“
Lesungen in der Studiobühne – danach Diskussion mit dem Publikum
Vorstellungen von Diesseits und Jenseits, Immanenz und Transzendenz, erweisen sich in der literarischen Reflexion der Gegenwart nach den Worten der Wissenschaftlerin nicht als Gegensätze. „Vielmehr durchdringen sie einander, und es zeigt sich, in welcher Weise gerade literarische Bilder das Überschreitungspotenzial im Alltäglichen aufspüren.“
Die Lesungen finden am 25. April, 23. Mai und 27. Juni von jeweils 18.00 bis 20.30 Uhr in der Studiobühne der Universität Münster statt. Eine Anmeldung ist nicht erforderlich. Der Eintritt ist frei. Zu Beginn geben Wissenschaftlerinnen des Exzellenzclusters aus der Literaturwissenschaft, Slavistik und Romanistik eine kurze Einführung in die Werke. An die Lesungen schließen sich Diskussionen mit dem Publikum an. „In den Lesungen am Exzellenzcluster soll erfahrbar werden“, so Martina Wagner-Egelhaaf, „dass Religion einerseits vielfache sprachliche Dynamiken erzeugt, andererseits von der Wirklichkeitsmacht der Sprache abhängig ist.“
Den Auftakt der Lesereihe, die den Titel „Existenziell, humorvoll, kritisch. Religiöse Dynamiken in der Literatur" trägt, macht am 25. April Zafer Şenocak, geboren 1961 in Ankara. „Die Bedeutungen der Wörter sind Schlüssel für Räume, die du noch nie betreten hast,“ schreibt er in Das Land hinter den Buchstaben. In seinen kritischen Essays setzt sich der Autor mit der türkisch-deutschen Literatur, mit dem Islam in Deutschland und anderen gesellschaftlichen sowie literarischen Fragestellungen auseinander. Im Rahmen der Lesereihe am Exzellenzcluster liest er u.a. aus seinem Buch In deinen Worten. Mutmaßungen über den Glauben meines Vaters (2016) und aus dem Gedichtband Lichtbruch (2022).
Am 23. Mai liest Felicitas Hoppe, geboren 1960 in Hameln, am Exzellenzcluster aus ihren Werken. Das Thema „Religion“ durchzieht alle ihrer Texte, die von Fabulierlust und einem gewitzten Spiel mit der Sprache geprägt sind. „Ob Gott dereinst gnädiger als die Medien sein wird sei dahingestellt […],“ schreibt sie in ihrem Essayband Fährmann, hol über! Oder wie man das Johannesevangelium pfeift (2021), aus dem sie am Exzellenzcluster u.a. liest. Außerdem liest sie aus Picknick der Friseure (1996) und ihrem Roman Johanna (2006).
Mit der Lesung von Patrick Roth, geboren 1953 in Freiburg im Breisgau, endet am 27. Juni die Lesereihe. Er greift in seinen Werken biblische Stoffe auf. In seinem Erzählband Gottesquartett schreibt er, dass das Gebet „nicht mehr die Kraft [besaß], die Worte zu erinnern, in deren Netz es einst hing […].“ Unter Einsatz filmischer Darstellungsweisen werden in seinen Werken religiöse Motive intensiv ausgeleuchtet. In Münster liest er aus seinem Roman Sunrise. Das Buch Joseph (2012) und dem Erzählband Gottesquartett. Erzählungen eines Ausgewanderten (2020). (fbu/vvm)