Neue Sicht auf jüdischen Geschichtsschreiber Josephus
Vortrag von Talmud-Professor Boyarin aus Berkeley am Exzellenzcluster
Über den antiken jüdischen Geschichtsschreiber Flavius Josephus spricht der Religionswissenschaftler und Judaist Prof. Dr. Daniel Boyarin von der University of California in Berkeley am Exzellenzcluster „Religion und Politik“ der Universität Münster. Der Wissenschaftler will in seinem öffentlichen Vortag eine neue Interpretation von Josephus vorstellen. Er kommt auf Einladung des evangelischen Theologen und Judaisten Prof. Dr. Lutz Doering vom Exzellenzcluster, Direktor des Institutum Judaicum Delitzschianum der WWU. Der englischsprachige Vortrag „A Divided Mind. The Key to Josephus” (Ein gespaltenes Bewusstsein. Der Schlüssel zu Josephus) ist am Mittwoch, 25. Januar 2017, im Hörsaalgebäude des Exzellenzclusters, Johannisstraße 4 in Münster zu hören. Er findet im Rahmen des Projektes C2-24 von Prof. Doering am Exzellenzcluster statt, das den Titel trägt „Integration und Diversifikation im palästinischen Judentum der hellenistisch-frührömischen Zeit“, sowie im Rahmen des Forschungskolloquiums „Neues Testament und Antikes Judentum“ der Evangelisch-Theologischen Fakultät der WWU.
Flavius Josephus gilt in der jüdischen Geschichte als Verräter, wie der Wissenschaftler im Vorfeld erläutert. „In Jotapata soll er seine Gefährten und Untergebenen überzeugt haben, Selbstmord zu begehen statt von den Römern gefangen genommen zu werden. Nachdem er dafür gesorgt hatte, dass das Los ihn als den letzten übrigen Mann bezeichnete, ergab er sich Vespasian und verbrachte als Klient des Kaisers zwanzig Jahre in Rom, in denen er die Geschichte seines besiegten Volkes schrieb.“ Nun sei zu fragen, warum Josephus diese „anscheinend beschämende Geschichte“ über sich selbst überhaupt erzählt habe. Prof. Boyarin will im Vortrag eine neue Interpretation der Erzählung „im Kontext vieler anderer Rätsel im Werk des Josephus‘“ vorstellen und sie als Schlüssel zu seinem psychologischen und kognitiven Zustand lesen.
American Academy of Arts and Sciences und Humboldt-Forschungspreis
Professor Boyarin lehrt seit 1990 an der Universität von Kalifornien in Berkeley; dort ist er der Taubman-Professor für Talmudische Kultur im Department für Nahost-Studien sowie Mitglied des Department für Rhetorik. Nach dem Studium am Goddard College und an der Columbia-Universität wurde Daniel Boyarin mit einer kritischen Edition des Traktats Nazir des Babylonischen Talmuds am Jewish Theological Seminary of America promoviert. Danach war der vielfach ausgezeichnete Forscher Professor an der Ben-Gurion-Universität des Negev und an der Bar-Ilan-Universität, bevor er nach Berkeley berufen wurde. Er hatte Gastprofessuren unter anderem in Yale, Harvard sowie an der Yeshiva University inne und war Fellow am Institute for Advanced Studies in Jerusalem sowie am Wissenschaftskolleg zu Berlin. In seinen zahlreichen Publikationen befasst er sich mit der biblischen, talmudischen, außerkanonischen sowie der damit zusammenhängenden antiken Literatur. 2005 wurde er in die American Academy of Arts and Sciences gewählt. 2015 erhielt er den Humboldt-Forschungspreis. (ill/vvm)