Wie Liturgie Geschichtsschreibung prägte
Gastwissenschaftler Sean Griffin arbeitet über die ost-slawische Nestor-Chronik
Der Frühmittelalter-Historiker und Byzantinist Dr. Sean Griffin von der University of California in Los Angeles forscht am Exzellenzcluster „Religion und Politik“ über die byzantinische Liturgie im Mittelalter. Der Gastwissenschaftler arbeitet während seines Aufenthaltes in Münster an einer Studie zur Rolle der Liturgie bei der Entstehung der ältesten erhaltenen ostslawischen Chronik, der Nestor-Chronik aus dem 12. Jahrhundert. Er untersucht erstmals, wie die Liturgie der Klöster, in denen die Chronisten lebten, ihr Schreiben und Kompilieren für die Geschichtsschreibung beeinflussten. Eine Monographie mit dem Titel „Byzantine Liturgy and the Making of the Rus Primary Chronicle“ soll Ende 2017 im Verlag Cambridge University Press erscheinen. Sean Griffin, der an der University of California der Abteilung für Slawische, Ost-Europäische und Eurasische Studien angehört, forscht am Exzellenzcluster im Rahmen eines einjährigen Postdoctoral Fellowship in den Geisteswissenschaften der VolkswagenStiftung und der Andrew W. Mellon Foundation. Der Exzellenzcluster „Religion und Politik“ gehört zu den offiziellen Gastinstitutionen des renommierten Programms. Sean Griffin arbeitet mit der Historikerin Prof. Dr. Heike Bungert und dem Byzantinisten Prof. Dr. Michael Grünbart vom Exzellenzcluster sowie mit dem Historiker Prof. Dr. Eduard Mühle von der WWU zusammen.
Im Frühjahr 2017 plant der Wissenschaftler eine internationale Tagung zum Thema „Ritual und Historiographie im Mittelalter“, welche die VolkswagenStiftung, das Historische Seminar der WWU und der Exzellenzcluster unterstützen. Wissenschaftler aus aller Welt wollen vom 31. März bis zum 2. April 2017 in Münster erörtern, wie die Liturgie die Geschichtsschreibung im mittelalterlichen Europa prägte. Im Sommersemester unterrichtet der Gastwissenschaftler auch Studierende in einem Seminar zu seinem Schwerpunktthema.
Zu seiner Liturgie-Studie führt der Wissenschaftler aus, die ostslawischen Chronisten des Frühmittelalters hätten in Klöstern gelebt und ihr Alltag sei stark von Gottesdiensten und Liturgie geprägt gewesen. Sie feierten morgens, abends und nachts Gottesdienste. Die Rituale hätten die Schreibarbeit der Chronisten stark geprägt. „Es lässt sich zeigen“, so Griffin, „dass der Entstehungsmythos der Rus, den die russisch-orthodoxe Kirche heute noch verkündet, aus dem liturgischen Gottesdienst des byzantinischen Ritus stammt.“ Zu den Forschungsschwerpunkten des Gastwissenschaftlers gehören die Geschichte der Religionen und der Geschichtsschreibung, die Geschichte von Herrschaftstechniken und der christlichen Liturgie. (ill/vvm)