Säkularisierung als „umkämpfter Begriff“
Rechtswissenschaftler Horst Dreier überprüft These des Philosophen Blumenberg
Zum Auftakt der Vortragsreihe der Hans-Blumenberg-Gastprofessur hat der Rechtswissenschaftler und Rechtsphilosoph Prof. Dr. Horst Dreier am Exzellenzcluster „Religion und Politik“ über den „umkämpften Begriff“ der Säkularisierung gesprochen. „Säkularisierung zählt zu den schillerndsten und zugleich missverständlichsten Begriffen“, sagte der neue Hans-Blumenberg-Gastprofessor. „Aber er spielt in allen Diskursen über das Verhältnis von Religion, Recht und Politik eine zentrale Rolle.“ Der Vortrag trug den Titel „Säkularisierung – eine ‚Kategorie historischer Illegitimität‘? Facetten eines umkämpften Begriffs“.
Der Wissenschaftler legte zunächst dar, „dass man zur Sondierung und Sortierung sinnvollerweise zwischen einem geisteswissenschaftlichen, einem soziologischen und einem staatsrechtlichen Verständnis von Säkularisierung unterscheidet.“ Er plädierte zugleich dafür, den Begriff der „Säkularisation“ für die Übertragung von geistlicher Herrschaft und Kirchengut in die weltliche Sphäre zu reservieren. Der Vortrag nahm dann spezifische Probleme der verschiedenen Säkularisierungsaspekte in den Blick.
Insbesondere ging Horst Dreier auf eine berühmte These des Namensgebers der Gastprofessur, des Philosophen Hans Blumenberg ein. Dieser These zufolge impliziert der Begriff „Säkularisierung“ die Vorstellung von einer unrechtmäßigen Transformation geistiger Gehalte und Vorstellungen. Sie sei von daher „ein gewissermaßen kontaminierter Begriff“, erläuterte Dreier. Der Gastprofessor überprüfte in seinen Ausführungen die Tragfähigkeit dieser These Blumenbergs.
Vortragsreihe „Herausforderungen des säkularen Verfassungsstaates“
Prof. Dr. Horst Dreier ist Professor für Rechtsphilosophie, Staats- und Verwaltungsrecht an der Universität Würzburg. Von 2001 bis 2007 gehörte er dem Nationalen Ethikrat an. Der vielfach ausgezeichnete Forscher hat zahlreiche Publikationen vorgelegt, darunter „Säkularisierung und Sakralität“ (2013). Er ist im Wintersemester 2016/2017 Inhaber der Hans-Blumenberg-Gastprofessur am Exzellenzcluster „Religion und Politik“ und befasst sich eingehend mit den „Herausforderungen des säkularen Verfassungsstaates“.
„Horst Dreier ist durch seine Forschungsinteressen in einzigartiger Weise anschlussfähig für fast alle Fächer im Exzellenzcluster“, unterstreicht Rechtswissenschaftler Prof. Dr. Fabian Wittreck, Hauptantragsteller des Forschungsverbundes. Zu den Schwerpunkten des neuen Gastprofessors zählen die Verfassungs- und Ideengeschichte sowie das Verhältnis von Recht und Religion. „Das bietet viele Berührungspunkte zum Exzellenzcluster“, so Prof. Wittreck.
Die öffentliche Vortragsreihe trägt den Titel „Herausforderungen des säkularen Verfassungsstaates“. Der Blumenberg-Gastprofessor beleuchtet darin die Verfassungsgeschichte der Religionsfreiheit in Deutschland und erörtert, ob die religiös-weltanschauliche Neutralität des säkularen Staates möglich ist. Er fragt, ob der Staat seine christlichen Wurzeln ignorieren kann und ob das freiheitliche Gemeinwesen auf sakrale Elemente angewiesen ist. Die Vorträge sind bis zum 5. Dezember 2016 montags von 18.15 bis 19.45 Uhr im Hörsaal JUR 3 im Juridicum, Gebäude der Rechtswissenschaftlichen Fakultät, Universitätsstr. 14-16 in Münster zu hören.
In den kommenden Semestern werden weitere renommierte Forscherinnen und Forscher aus wechselnden Disziplinen auf die Hans-Blumenberg-Gastprofessur berufen, etwa aus der Soziologie und Ethnologie. Der erste Hans-Blumenberg-Gastprofessor war im Sommersemester 2016 der Bochumer Historiker Prof. Dr. Lucian Hölscher, der sich in Münster mit dem Reformationsjubiläum 2017 und der protestantischen Frömmigkeitskultur in Deutschland befasste und den Mitgliedern des Forschungsverbundes wichtige Impulse gab. (ill/vvm)