„Es kam zur verstärkten individuellen Suche nach Gott“

Historiker Gert Melville über mittelalterliche Klostereintritte als Glaubenswende

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Prof. Dr. Gert Melville
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Über klösterliche Konversion im Mittelalter hat Historiker Prof. Dr. Gert Melville von der TU Dresden in der öffentlichen Ringvorlesung „Konversionen. Glaubens- und Lebenswenden“ des Exzellenzclusters gesprochen. „Conversio ist der innere, seelische Vorgang, der beim mittelalterlichen Eintritt in ein Kloster erfolgte und dann fortgesetzt wurde als Akt stetig sich erneuernder Hinwendung an Gott. Ziel war es, ein Kloster in der eigenen Seele aufzubauen“, erläuterte der Mittelalter-Historiker. Er befasste sich im Vortrag mit dem sogenannten langen 12. Jahrhundert. Zu dieser Zeit kam es nach seinen Worten – nicht zuletzt in Folge der Kirchenreform im 11. Jahrhundert – zu einem Drang nach Verinnerlichung des Glaubens, der verstärkt zu einer individuellen Suche nach Gott führte. Dadurch habe conversio eine neue Dimension gewonnen, in welcher „das auf Gott gerichtete Individuum wesentlich deutlicher in den Mittelpunkt gerückt wurde“.

Als bemerkenswert bezeichnete es Prof. Melville, dass im Mittelalter der Zustand, den ein Mensch in der persönlichen Konversion fand und den man nur in der Verbindung mit Gott erreicht sah, dazu berechtigt habe, sich über alle rechtlichen Normen hinwegzusetzen und ausschließlich seinem Gewissen zu folgen. Der Vortrag trug den Titel „Conversio und die Legitimation des Individuums. Beobachtungen zu den religiösen Gemeinschaften des Mittelalters“. Die Ringvorlesung, zu der der Exzellenzcluster im Wintersemester 2015/16 einlädt, untersucht religiöse, aber auch politische und weltanschauliche Konversionen von der Spätantike bis heute.

Die spirituellen Ziele einer conversio konnten im 12. Jahrhundert mit tatsächlichen Praktiken in klösterlichen Gemeinschaften in Konflikt geraten, die als unzureichend empfunden wurden, wie der Mittelalter-Experte ausführte. „Trotz des üblichen Eides auf Ortsstabilität, nach dem ein Mönch sein Leben im selben Kloster zu verbringen hatte, kam es nun verbreitet zu fluchtartigen Ausstritten und Rückzügen in eine eremitische Lebensweise beziehungsweise zu Übertritten in Klöster mit strengerem Lebenswandel.“ So seien etwa in Westfrankreich viele Mönche in den Wald von Craon im Loire-Tal geflohen. Auch der Orden der Zisterzienser sei das Ergebnis einer Klosterflucht gewesen. Diese Auseinandersetzung kann dem Historiker zufolge als ein Konflikt zwischen rechtlichem Zwang und innerer Entscheidungsfreiheit angesehen werden.

Prof. Melville ist Direktor der Forschungsstelle für Vergleichende Ordensgeschichte an der TU Dresden. Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen die vergleichende Ordensgeschichte des Mittelalters, mittelalterliche Historiographie und spätmittelalterliche Hofkultur.

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© Joachim Schäfer - Ökumenisches Heiligenlexikon

Konversion. Glaubens- und Lebenswenden

Die Themen der öffentlichen Ringvorlesung reichen von Bekehrungen im alten Rom über Konversionsträume im Mittelalter und frühneuzeitliche Reformatoren bis zur Taufe europäischer Juden im 19. Jahrhundert. Auch Konversionen innerhalb des Islams in Indonesien, die Konversion zum evangelikalen Christentum des US-Musikers Bob Dylan und der Wandel von Geisterheilungen zur Psychiatrie im heutigen Indien werden unter die Lupe genommen. Es kommen Vertreter verschiedener Disziplinen zu Wort: der Geschichts- und der Rechtswissenschaft, der Ethnologie, Theologie, Arabistik, Germanistik, Indonesischen Philologie, der Judaistik und der Mittellateinischen Philologie.

Die Vorträge sind dienstags von 18.15 bis 19.45 Uhr im Hörsaal F2 des Fürstenberghauses am Domplatz 20-22 in Münster zu hören. Den nächsten Vortrag am 3. November hält die Erlanger Kirchenhistorikerin Prof. Dr. Charlotte Köckert zum Thema „Konversion und Konversionserzählungen christlicher Asketen in der Spätantike: Augustinus, Paulinus von Nola und ihre Kreise“. (ska/vvm)

Ringvorlesung „Konversionen. Glaubens- und Lebenswenden“

Wintersemester 2015/2016
dienstags 18.15 bis 19.45 Uhr
Hörsaal F2 im Fürstenberghaus
Domplatz 20-22
48143 Münster