Zur Rolle der Philosophie in der Gesellschaft
Michael Quante im dpa-Interview zum 23. Deutschen Kongress für Philosophie
Zum 23. Deutschen Kongress für Philosophie mit dem Titel „Geschichte – Gesellschaft – Geltung“ an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster hat der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Philosophie, Prof. Dr. Michael Quante vom Exzellenzcluster „Religion und Politik“, mit der Deutschen Presse-Agentur (dpa) gesprochen. Es folgt der Originalwortlaut:
Fachmann fordert: Philosophen sollen sich mehr einmischen
Interview: Carsten Linnhoff, dpa
In Münster treffen sich bis Anfang Oktober Philosophen aus der ganzen Welt. Sie ordnen Probleme ein und wollen mit ihren Denkansätzen Grundlagen für Diskussionen schaffen. Damit kommen sie aber zu selten in der Gesellschaft an.
Philosophen sollen sich mehr in gesellschaftlichen und politischen Debatten einmischen, meint Michael Quante. Der Professor für Praktische Philosophie der Uni Münster fordert im Interview der Nachrichtenagentur dpa von seinen Kollegen, auch in den Medien präsenter zu sein. Bis zum 2. Oktober treffen sich in Münster Geisteswissenschaftler aus der ganzen Welt zum 23. Deutschen Kongress für Philosophie.
Wozu brauchen wir Philosophie, genauer gefragt: Was kann die Philosophie in diesen von vielen als chaotisch empfundenen Zeiten für die Gesellschaft leisten?
Ob Philosophie gebraucht wird oder nicht, hängt natürlich von der Art des Chaos ab, welches besteht oder zumindest empfunden wird. Beim sprichwörtlichen Verkehrschaos oder einer chaotischen Planung ist Philosophie sicher nur als Unterstützung der inneren Ruhe hilfreich.
Aber als Meditationshilfe sieht sich die Philosophie ja nun nicht.
Nein, sicher nicht. Viele Menschen erleben die gegenwärtige gesellschaftliche Lage in ethischer Hinsicht als chaotisch. Fortschritte in Medizin oder Lebenswissenschaften, zunehmende Säkularisierung und verstärkte Pluralität von Lebensformen stellen uns, genauso wie die dramatischen internationalen Krisen, vor zahlreiche normative Probleme. An dieser Stelle kann und sollte die Philosophie sich in die allgemeinen gesellschaftlichen und politischen Debatten einmischen. Sie kann darüber hinaus auch für individuelle Fragen nach Sinn und Ausrichtung der eigenen Lebensführung Gesprächsangebote machen.
Die Philosophie gibt also Orientierung und vermittelt Werte – quasi als Religionsersatz?
Die Philosophie bietet Orientierung, indem sie zum einen durch Begriffsklärung und durch Unterscheidung von Argumenttypen sowie durch die Identifizierung der jeweiligen Begründungslasten die Vorbedingungen für eine rationale Diskussion schafft. Zum anderen kann sie im individuellen Fall aus dem Fundus der Philosophie die bisher entwickelten Positionen und deren kritische Erörterung bereitstellen.
Also will die Philosophie kein endgültiges Regelwerk aufstellen.
Direkte Anweisungen oder normative Direktiven sollte die Philosophie meiner Auffassung nach nicht geben. Die Werte, die sie vermittelt, sind der kritischen Aufklärung, der Wissenschaftlichkeit und allgemein der Vernunft zugeordnet. Darüber hinausgehende Werte einer spezifischen Weltanschauung sollten dagegen nicht zur allgemeinen Botschaft der Philosophie gehören. Wenn einzelne Philosophinnen und Philosophen sich solchen Werten verpflichtet fühlen, ist es geboten, dass sie dies als ihren eigenen, philosophisch fundierten Standpunkt kenntlich machen.
Welche Frage steht aktuell im Mittelpunkt der Forschung?
Es gibt nicht die eine Frage, auch wenn immer mal wieder einzelne Debatten oder Problemstellungen besonders ins Blickfeld geraten. Beispiele hierfür waren in den letzten Jahrzehnten die Philosophie des Geistes oder auch der Klassiker und die Frage: Wie frei ist unser Wille? Mit Blick auf gesellschaftliche drängende Fragen sind sicher die normativen Grundlagen der Inklusion ein kommendes Thema, so wie es Gerechtigkeitsfragen im nationalen und internationalen Kontext in den letzten Jahren schon gewesen sind.
Kommt denn von den Überlegungen der Philosophen genug in der Gesellschaft an? Und wenn nicht, was muss sich ändern?
Es wäre wünschenswert, wenn in den Medien vor allem Fachphilosophen als Philosophen gefragt würden. Hier gibt es derzeit eine Schieflage. Dafür müssen aber auch wir noch mehr als bisher bereit sein, uns entsprechenden Anfragen und den damit verbundenen Herausforderungen zu stellen.
Zur Person: Michael Quante ist Professor für Praktische Philosophie der Uni Münster und Wissenschaftler des Exzellenzclusters „Religion und Politik“ und der Kolleg-Forschergruppe Normenbegründung in der Medizinethik. Seit Anfang 2012 ist Quante Präsident der Deutschen Gesellschaft für Philosophie, seit 2011 Mitglied in der Ethik-Kommission der Medizinischen Fakultät der Universität Münster und der Ärztekammer Westfalen Lippe.
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