„Kirche erkennt ihre Schuld noch nicht an“
Tagung am Exzellenzcluster zum Umgang mit Schuld nach dem Missbrauchsskandal
Pressemitteilung des Exzellenzclusters vom 26. Mai 2014
Nach dem Missbrauchsskandal muss die katholische Kirche der Theologin Dr. Julia Enxing vom Exzellenzcluster „Religion und Politik“ zufolge einen neuen Umgang mit der Schuld lernen. „Die 2010 bekannt gewordenen Missbrauchsfälle haben die Kirche tief erschüttert. Die Auseinandersetzung mit ihrer Schuld fällt ihr aber immer noch schwer. Es fehlen Worte und Gesten der Anerkennung der Schuld ebenso wie konstruktive theologische Ansätze“, sagt die Theologin. In vielen Missbrauchsfällen sei Vergebung gefordert worden, bevor Schuld eingestanden worden sei. „Hier wurde der zweite Schritt vor dem ersten getan.“ Enxing kündigt eine Tagung des Exzellenzclusters für Ende Mai an, auf der sich katholische und evangelische Theologinnen und Theologen mit Schuld als Herausforderung für Theologie und Kirche befassen.
Die Kirche müsse ihre Schuld anerkennen und in ihr Selbstbild integrieren, fordert die Fundamentaltheologin. Anders gewinne sie verlorenes Vertrauen nicht zurück. Auch wenn Maßnahmen wie Telefon-Hotlines für Opfer und Runde Tische ergriffen und Entschädigungen bezahlt worden seien, bestünden weiter Tendenzen, eine kollektive Verantwortung der Kirche zu leugnen. Indem sie jedoch Schuld nur als Verfehlung Einzelner verstehe, relativiere sie deren Reichweite.
„Die Kirche als Institution muss sich endlich zu ihrer Verantwortung bekennen“, sagt Enxing. Kirche sei kein Selbstzweck, sondern als Gemeinschaft von Christinnen und Christen gegründet und von Gott eingesetzt. Verfehlungen von Mitgliedern dieser Gemeinschaft beträfen die Kirche als Ganze. Sich mit der strukturellen Schuld zu befassen, sei eine „große Herausforderung der Zeit“. Dazu müssten jetzt Sprache und Gesten gefunden werden. Als positives Beispiel nannte die Wissenschaftlerin eine Geste des Bischofs von Osnabrück, Franz-Josef Bode. Er hatte 2010 mit dem Domkapitel vor 600 Gläubigen einen Bußakt vollzogen, bei dem er sich bäuchlings vor den Altar legte, um Demut und Scham auszudrücken. Solche liturgischen Bußakte hätten Signalwirkung.
„Nicht nur ein katholisches Problem“
Unter den Gläubigen ist der Wissenschaftlerin zufolge viel Wut über das jahrelange Vertuschen der Missbrauchsfälle zu spüren. Das Vertrauen Vieler in die Kirche sei zerstört. „Das höchste Gebot der Kirche ist die Gottes- und Nächstenliebe. Verantwortung für Verfehlungen zu übernehmen, ist Teil der Theologie.“ Enxing, die dem Habilitandenkolleg des Exzellenzclusters angehört, plädiert für ein „Ende der Tradition der Sprachlosigkeit“.
Die Theologin unterstreicht, dass der Umgang mit Schuld nicht allein ein „katholisches Problem“ sei. „Allerdings ist die Problematik besonders prägnant, wenn es um die Schuld einer Kirche geht, die beansprucht ,heilig‘ zu sein.“ Die Schuld- und Glaubwürdigkeitskrise der Kirche schlage sich nicht nur in Kirchenaustritten nieder, sondern auch in einem steigenden Rechtfertigungsdruck für jene, die noch dabei blieben, sagt die Theologin. Wie die Kirche jetzt mit Schuld umgehe, werde zum „Prüfstein der Glaubwürdigkeit ihrer Botschaft“.
Die Tagung „Schuld als Herausforderung für Theologie und Kirche“ findet vom 30. Mai bis 1. Juni im Franz Hitze Haus in Münster statt. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus Deutschland, Österreich und der Schweiz gehen der Frage nach, wie Schuld und Schuldbekenntnis in das Selbstverständnis der Kirche als Gemeinschaft der Gläubigen integriert werden kann. Aus der Konferenz soll ein Netzwerk hervorgehen, dass die wissenschaftliche Arbeit zum Thema Schuld vertieft. Dr. Julia Enxing forscht am Exzellenzcluster im Projekt C2-10 Kritik von innen. Modelle sozialen Wandels in der katholischen Kirche, das die Sozialethikerin Prof. Dr. Marianne Heimbach-Steins leitet. (ska/vvm)