„Konfrontationen bei der Sterbehilfe abbauen“

Philosoph Michael Quante im dpa-Interview

Interview: Carsten Linnhoff, dpa

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Prof. Dr. Michael Quante
© Julia Holtkötter

Freiwillige aktive Sterbehilfe in der Medizin sollte nach Einschätzung des Philosophen Prof. Dr. Michael Quante vom Exzellenzcluster entkriminalisiert werden. In der Diskussion um eine Gesetzesreform, die der Bundestag 2015 auf den Weg bringen will, riet der Professor für Praktische Philosophie im Interview der Deutschen Presse-Agentur (dpa) auch zum Ausbau von Hospizen und der Palliativmedizin. Zum Thema äußert sich der Forscher auch in Gastbeiträgen für die Tageszeitungen Frankfurter Rundschau, Berliner Zeitung und Kölner Stadt-Anzeiger.

Der Bundestag will bis 2015 das Gesetz zur Sterbehilfe reformieren. Um was geht es im Kern?

Wir haben eine lange Tradition des Schutzes des menschlichen Lebens. Unsere Gesellschaft aber verändert sich und das Paradigma der Selbstbestimmung ist längst anerkannt. Und dazu gehört auch die Selbstbestimmung über das eigene Lebensende. Das ist der Grundkonflikt.

Der wie zu lösen ist?

Allein schon über das Thema nachzudenken ist bitter. Sich zu fragen, was würdest Du tun, wenn Dich jemand aus Deinem Umfeld um aktive Sterbehilfe bittet, ist eine Art Lackmustest. Das hat nichts mit Parteibuch zu tun. Es ist eine individuelle Entscheidung.

Ihre Meinung als Ethiker?

Die Gesellschaft muss die Möglichkeit aktiver freiwilliger Sterbehilfe für bestimmte Fälle bereithalten, ohne dass sie einen einzelnen Arzt dazu zwingen darf. Die Frage ist: Wie können wir das gesellschaftlich und rechtlich so organisieren, dass möglichst wenig ethischer Schaden entsteht? Was können wir wem zumuten und was nicht?

Was sind die ethischen Zwickmühlen?

Egal, wie man sich entscheidet: Durch Strafgesetze zwingt man Menschen, sich auf kriminelle oder dubiose Machenschaften einzulassen, um selbstbestimmt zu sterben. Alternativ dazu wird eine Tötung auf Verlangen unter bestimmten Umständen legalisiert, was selbstverständlich problematisch ist.

Und wenn ein Arzt sich weigert?

Das ist sein gutes Recht. Aber nach meiner Meinung wäre so eine Aufgabe durchaus mit dem Ethos der Ärzte als Gruppe vereinbar. Andere Länder wie die Niederlande machen es ja vor. Aber natürlich: Genauso wie jemand für sich sagen kann, dass er als Arzt keine Abtreibung durchführen will und deshalb kein Gynäkologe wird, kann er die aktive Sterbehilfe ablehnen.

Was wünschen Sie sich für die politische Debatte in den nächsten Monaten?

Manche Argumente vergiften den Brunnen. Da wünsche ich mir in einigen Punkten eine Umkehr der Beweislast. Zu behaupten, dass es nach der Zulassung der freiwilligen aktiven Sterbehilfe wie in den Niederlanden notwendigerweise zu einer moralischen Katastrophe mit unfreiwilligen Tötungen kommen muss, ist eine Verleumdung und nicht nachvollziehbar. Wir nennen das ein Schiefe-Ebene-Argument. Wer solche Prognosen in der Diskussion aufführt, muss sie auch belegen können. Der rhetorische Erfolg solcher Argumente ist immens, steht aber im umgekehrten Verhältnis zur Qualität ihrer Begründung.

Und wenn es Beweise für die These gäbe?

Dann wäre es noch immer kein zwingender Grund, aktive freiwillige Sterbehilfe generell abzulehnen. Die Aufgabe wäre dann, geeignete Schutzmaßnahmen zu treffen.

Was stört Sie an der Diskussion der letzten Jahrzehnte?

Es gibt eine falsche Konfrontation: Auf der einen Seite die Befürworter der aktiven freiwilligen Sterbehilfe bei Menschen, die zu einer autonomen Entscheidung fähig sind und dann einen nachvollziehbaren Tötungswunsch äußern, weil sie selbst diesen Schritt nicht mehr gehen können. Denn es gibt gut begründete Wünsche zu sterben. Und dann gibt es das Gegenargument, dass wir eine bessere Sterbebegleitung in Hospizen oder den Ausbau der Palliativmedizin brauchen. Das sei die Lösung des Problems.

Was ist daran falsch?

Es wird immer so dargestellt, als wäre dies ein Gegeneinander, doch das ist grundfalsch. Die Palliativmedizin wird dabei als die ethische Antwort, als die humane Alternative zur aktiven Sterbehilfe hingestellt. Aus meiner Sicht ist das eine falsche Alternative.

Und die richtige?

Eine Gesellschaft, die eine freiwillige aktive Sterbehilfe anbietet, muss gleichzeitig Hospize ausbauen, die Sterbende begleiten, so dass möglichst viele Menschen die Chance haben, keine Sterbehilfe verlangen zu müssen, weil sie eine humane Begleitung haben. Aber es wird immer Fälle geben, wo die Betroffenen das nicht wollen. Und für sie muss das Recht auf Selbstbestimmung gelten. Ich bin dafür, alle Optionen auszuschöpfen und die Rahmenbedingungen so zu gestalten, dass die Zahl derer, die andere darum bitten zu sterben, abnimmt. Aber ich halte es für ein falsches Signal, diese Option zu kriminalisieren.


Zur Person: Michael Quante ist Professor für Praktische Philosophie der Uni Münster und Wissenschaftler des Exzellenzclusters „Religion und Politik“ und der Kolleg-Forschergruppe Normenbegründung in der Medizinethik und Biopolitik. Seit Anfang 2012 ist Quante Präsident der Deutschen Gesellschaft für Philosophie, seit 2011 Mitglied in der Ethik-Kommission der Medizinischen Fakultät der Universität Münster und der Ärztekammer Westfalen Lippe.

Mit freundlicher Genehmigung der dpa Deutsche Presse-Agentur GmbH, Hamburg, www.dpa.de