Ein Lateinamerikaner, ein Jesuit – und doch kein Aufbruch
Zur Wahl Jorge Bergoglios zum Papst
Zur Wahl des Papstes Franziskus haben sich die Lateinamerika-Expertinnen Antje Schnoor, Barbara Rupflin und Prof. Dr. Silke Hensel in einem Beitrag für die Webseite www.religion-und-politik.de des Exzellenzclusters „Religion und Politik“ der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster (WWU) geäußert. Die Historikerinnen forschen am Cluster im Projekt D2-5 „Die Katholische Kirche zwischen Reform und Diktatur: Argentinien und Chile in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts“ und in der Graduiertenschule des Forschungsverbunds im Projekt „Priester und Politik. Haltungen und Handlungen der Jesuiten in Chile von 1964 bis 1983“.
Der Beitrag
Die Wahl des argentinischen Kardinals Jorge Bergoglio zum Papst ist nicht so überraschend, wie es scheint. Angesichts der vielen Probleme der katholischen Kirche, der erschütterten Glaubwürdigkeit durch Missbrauchsskandale und des Mitgliederrückganges ist es aus kirchlicher Sicht notwendig, zumindest den Anschein eines Aufbruchs zu erwecken. Dafür ist Bergoglio der perfekte Kandidat. Schon mit seiner Namenswahl Franziskus präsentiert er sich als „Papst der Armen“. Sein Image ist geprägt von seiner bescheidenen Lebensführung, die auf jeglichen Prunk verzichtet und in Lateinamerika angesichts der Armut bei vielen Menschen auf Sympathie stößt. Seine Wahl zum Papst ist dort deshalb mit vielen Hoffnungen verbunden.
Außerhalb Lateinamerikas weckt das Bild eines in Armut lebenden Kardinals Assoziationen mit der lateinamerikanischen Befreiungstheologie. Tatsächlich vertritt Papst Franziskus aber keine befreiungstheologischen Positionen. Und genau deswegen erweist er sich auch bei konservativen Kardinälen als anschlussfähig. Seine Wahl überrascht auch deshalb nicht, weil die wahlberechtigten Kardinäle des aktuellen Konklaves mehrheitlich entweder von Johannes Paul II. oder Benedikt XVI. ernannt wurden – beide vehemente Gegner der Befreiungstheologie.
Bergoglio ist nicht nur der erste Lateinamerikaner, sondern auch der erste Jesuit, der in das Papstamt gewählt wurde. Traditionell nimmt der Jesuitenorden als größter Orden weltweit eine besondere Stellung innerhalb der katholischen Kirche ein. So wird der Generalobere der Jesuiten aufgrund des ihm zugeschriebenen Einflusses als „schwarzer Papst“ bezeichnet. Unter dem Generaloberen Pedro Arrupe (1965 bis 1983) geriet der Orden allerdings mit dem Vatikan in Konflikt und verlor an Einfluss. Dies hatte nicht zuletzt mit der Übernahme befreiungstheologischer Positionen bei der 32. Generalkongregation in den Jahren 1974 und 1975 zu tun. Diese Konflikte sind heute überwunden. Da Bergoglio spätestens seit seiner Ernennung zum Bischof 1992 weitgehend unabhängig von den jesuitischen Ordensstrukturen agierte und nicht in jesuitischer Gemeinschaft lebte, ist er kein typischer Repräsentant seines Ordens.