„Träume vom besseren Leben?“
Vortrag über utopische Entwürfe und apokalyptische Visionen
Über utopische Entwürfe und apokalyptische Visionen hat der Siegener Germanist Prof. Dr. Klaus Vondung im ersten Vortrag der öffentlichen Ringvorlesung „Zukunftsvisionen zwischen Apokalypse und Utopie“ des Exzellenzclusters „Religion und Politik“ gesprochen. In seinem Vortrag bot der Wissenschaftler einen literaturwissenschaftlichen Überblick zum Thema Utopie und Apokalypse und arbeitete die verschiedenen Bedeutungen der beiden Begriffe heraus. Er unterschied „die Utopie der fernen Inseln und die Utopie der künftigen Zeiten sowie die Apokalypse als Erlösungsvision und die Apokalypse, von der nur der Untergang geblieben ist“. Der Professor für Literaturwissenschaft legte zudem dar, welche Versionen zu welcher Zeit und aus welchen Gründen Konjunktur hatten. Der gut besuchte Vortrag eröffnete die Ringvorlesung, zu der im Wintersemester 2014/15 das Habilitandenkolleg des Exzellenzclusters „Religion und Politik“ einlädt.
Ursprünglich beschrieb der Begriff „Utopie“ ein Gedankenexperiment „in gesellschaftskritischer und auch pädagogischer Absicht“, wie der Forscher sagte. Das Modell leitete sich vom Roman „Utopia“ (Nicht-Ort) her, in dem der englische Staatsmann und Gelehrte Thomas Morus (1478-1535) das Bild einer idealen Gesellschaft zeichnet. Dieser Utopie-Begriff wandelte sich seither im Laufe der Jahrhunderte zu einer Zukunftsutopie, die Vorhersagen über den künftigen Zustand einer Gesellschaft trifft, und weitete sich auf gesellschaftliche und politische Ideologien sowie auf moderne Geschichtsentwürfe aus, wie Prof. Vondung in seinem Vortrag „Utopische Entwürfe – apokalyptische Visionen: Träume vom besseren Leben?“ darlegte. Mittlerweile sei die Utopie allerdings „aus der Mode gekommen“ und „die Träume vom besseren Leben, die mit dem Begriff der Utopie verbunden waren, ausgeträumt“. Der Autor und Historiker Joachim Fest etwa habe bereits 1991 mit dem Ende der kommunistischen Regime die Utopie als Modell als erledigt angesehen und von einem „Ende des utopischen Zeitalters“ gesprochen.
Heute hätten apokalyptische Visionen der Utopie den Rang abgelaufen, so Prof. Vondung. Ursprünglich war die Apokalypse in der religiösen Tradition eine Erlösungsvision, wie der Wissenschaftler sagte. „Die alte, unvollkommene und verdorbene Welt musste zerstört werden, so die apokalyptische Perspektive, damit eine neue, vollkommene aufgerichtet werden kann. Der Weltuntergang war eine Durchgangsphase zu einer ,neuen Erde‘.“ Inzwischen sei der Begriff in der Politik und in den Medien zum Schlagwort geworden für Katastrophen wie die Kernschmelze im Atomkraftwerk Fukushima, das Ebola-Virus oder die Auswirkungen des Klimawandels. Eine solche Verwendung des Begriffs sei allerdings unangebracht. Er unterstelle eine „Schicksalhaftigkeit“ und verschleiere „die menschliche Verantwortung“.
Der Zusammenhang von Untergang und Erneuerung, Vernichtung und Erlösung bestimmte nach den Worten des Referenten auch apokalyptische Visionen der Moderne, die sich vom religiösen Vorbild lösten und das apokalyptische Szenario auf weltliche, politische Verhältnisse übertrugen. So hätten viele Intellektuelle nach dem Untergang und der Vernichtung „der verhassten, alten bürgerlichen Welt“ im Ersten Weltkrieg (1914-1918) auf eine neue Gesellschaft gehofft.
„Zukunftsvisionen zwischen Apokalypse und Utopie“
Die neue Ringvorlesung widmet sich der Geschichte apokalyptischen und utopischen Denkens von der Antike bis heute und untersucht, wie religiöse und politische Elemente in Zukunftsvisionen verwoben sind. Die Themen der Vorträge reichen von prophetischen Texten aus dem antiken Ägypten über geschichtsphilosophische Zukunftsentwürfe und Richard Wagners „Kunstwerk der Zukunft“ bis zum utopischen Frauenbild spanischer Faschistinnen. Kino-Erzählungen wie „Avatar“ und „Cloud Atlas“ werden unter die Lupe genommen. In der Ringvorlesung kommen Vertreter verschiedener Fächer zu Wort: aus der Geschichts-, Rechts- und Politikwissenschaft, Philosophie, Theologie, Archäologie, Ägyptologie und Musikwissenschaft.
Die Vorträge sind dienstags von 18.15 bis 19.45 Uhr im Hörsaal F2 des Fürstenberghauses am Domplatz 20-22 in Münster zu hören. Den nächsten Vortrag am 21. Oktober hält die Theologin Prof. Dr. Catherine Keller aus Madison (USA) zum Thema „Klima-Apokalypse, grüne Utopie: Auf dem Weg zu einer Politischen Theologie der Erde“. (ska)
Ringvorlesung „Zukunftsvisionen zwischen Apokalypse und Utopie“
Wintersemester 2014/2015
dienstags 18.15 bis 19.45 Uhr
Hörsaal F1 im Fürstenberghaus
Domplatz 20-22
48143 Münster