Eine Papst-Novelle
Literaturwissenschaftlerin Wagner-Egelhaaf zum Roman „Die linke Hand des Papstes“ von Friedrich Christian Delius
Der deutsche Schriftsteller Friedrich Christian Delius hat eine Papst-Novelle unter dem Titel „Die linke Hand des Papstes“ vorgelegt, in dem die Hauptfigur zum Protestantismus konvertiert. Rom erscheint darin als Schauplatz skandalöser Verschränkungen von Religion und Politik, wie Literaturwissenschaftlerin Prof. Dr. Martina Wagner-Egelhaaf in einer „Ansichtssache“ der Website www.religion-und-politik.de des Exzellenzclusters „Religion und Politik“ der Uni Münster schreibt. Sie analysiert das literarische Leitmotiv der linken Hand als „ein überkodiertes Kunst-Zeichen“, das „die Frage nach der Relation von Körper und Geist, Macht und Aufbegehren, Kunst und Wirklichkeit aufwirft“.
Der Beitrag
Friedrich Christian Delius hat ein Buch über den Papst geschrieben, nicht über den amtierenden Papst Franziskus, sondern über Benedikt XVI. – obwohl man bei einem literarischen Text nie so genau weiß, ob eine dargestellte Figur mit einer historischen Person identisch ist. Streng (literaturwissenschaftlich) genommen ist sie es nicht, kann es auch gar nicht sein, weil die literarische Figur aus sprachlichen Zeichen besteht und die historische Person aus Fleisch und Blut.
Im Klappentext des 120 Seiten umfassenden Büchleins, das von Gustav Seibt in der Süddeutschen Zeitung hochgelobt (18. 9. 2013), von Lorenz Jäger in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung zerrissen (5. 10. 2013) wurde, heißt es: „Eine Erzählung über das rätselhafte, herrliche, abgründige Rom der Gegenwart – und eine moderne Legende: wie der Papst zum Lutheraner wurde.“ Allen Ernstes: Delius lässt seine Papstfigur zum Protestantismus konvertieren! In literaturwissenschaftlicher Sicht klingt das sehr nach einer ‚unerhörten Begebenheit‘, dem zentralen Strukturmoment in der klassischen Novellentheorie. Der Ich-Erzähler trifft den Papst am Sonntag Estomihi in einer evangelischen Kirche in Rom an, wo er als scheinbar einfacher Kirchenbesucher nachdenklich in der Bank sitzt. Und er beschreibt ihn, den qua Amt eher Fernen, Abgehobenen in seiner konkreten menschlichen Körperlichkeit: „Die Augen wandten sich […] seinen Händen zu, vor allem der mir näheren linken Hand, auf dem Oberschenkel, am Knie, auf der Lehne ruhend oder den Kopf stützend, die rechte war nur dann vollständig sichtbar, wenn der alte Herr den Arm bewegte und sie etwas vorstreckte. Die Hände zogen meine Blicke an, die vermutete Müdigkeit alter und immer noch mächtiger Hände war es, über die ich ins Sinnieren kam“ (8). Die linke Hand des Papstes wird zum Leitmotiv, novellentheoretisch mit Paul Heyse gesprochen, zum „Falken“ des Textes, der dem sinnierenden Erzähler im Anblick des wohl gleichfalls sinnierenden Papstes die historischen und gegenwärtigen Abgründe von Religion und Politik in der heiligen Stadt vor Augen ruft.