Tag des Exzellenzclusters
Differenzierungstheorie auf dem Prüfstand
„Zu den wenigen Konstanten in der hundertjährigen Geschichte der Soziologie gehört die Annahme, dass die moderne Gesellschaft durch ein besonderes Ausmaß und eine eigentümliche Form sozialer Differenzierung zu kennzeichnen sei“, erklärte Niklas Luhmann vor etwa 15 Jahren. Inzwischen ist die Differenzierungstheorie ebenso wie die Säkularisierungsthese, deren theoretisches Rückgrat sie bildet, zum Gegenstand kontroverser Diskussionen geworden. Eingewandt wird erstens, dass die Differenzierungstheorie deterministisch argumentiere und die Kontingenz historischer Abläufe ignoriere. Zweitens nehme sie, wie auch das Luhmann-Zitat unterstellt, eine falsche Verknüpfung von Moderne und funktionaler Differenzierung vor, die die Gleichzeitigkeit von Prozessen der Differenzierung und Entdifferenzierung sowie von Säkularisierung und Sakralisierung unterschätze und zudem die erhebliche Variabilität moderner Gesellschaften außer Betracht lasse. Drittens richtet sich die Kritik auf die mangelnde Erklärungskraft der Differenzierungstheorie, die auf einer makrosoziologischen Ebene angesiedelt sei, aber keine akteurstheoretische Fundierung besitze.
Anhand von theoretischen Analysen und empirischen Fallbeispielen aus unterschiedlichen Epochen soll die Leistungsfähigkeit der Differenzierungstheorie geprüft werden, Möglichkeiten ihrer Modifikation und Ergänzung diskutiert und schließlich die Frage aufgeworfen werden, ob und inwieweit an diesem Ansatz als einem fruchtbaren Instrument der Analyse festgehalten werden kann.
Programm (Freitag, 26. Oktober 2012)
Hörsaal S2, Schlossplatz 2, 48149 Münster
09:15–10:45 | Begrüßung | |
Differenzierung und Entdifferenzierung als soziologische Interpretationskategorien | Detlef Pollack | |
Differenzierung und Entdifferenzierung von Religion und Politik: ein Kommentar | Ulrich Willems | |
Dimensionen der Differenzierung und Entdifferenzierung aus philosophischer Sicht | Ludwig Siep und Michael Quante | |
Diskussion | ||
11:00–12:30 | Der „gottgleiche Pharao“? – Situative Differenzierung von Religion und Politik im alten Ägypten | Angelika Lohwasser |
Gab es eine jüdische und eine christliche Religion in der Antike? | Hermut Löhr und J. Cornelis de Vos | |
Differenzierung von Religion in Anekdoten des chinesischen Mittelalters? | Michael Höckelmann | |
Staat, Religion und Staatsreligion im Buddhismus | Perry Schmidt-Leukel | |
Diskussion | ||
14:00–15:30 | Episcopal Actors and Royal Action: Distinguishing Religion and Politics in the Eleventh Century | Theo Riches |
Differenzierung und Entdifferenzierung im Bettelordensstreit | Sita Steckel | |
Differenzierungstheorie, Reformation und Reichsverfassung | Barbara Stollberg-Rilinger | |
Entdifferenzierung? Zum Wissenschaftsprogramm der spanischen Spätscholastiker | Nils Jansen | |
Diskussion | ||
16:00–18:00 | Entdifferenzierungssperren: Die religiösweltanschauliche Neutralität des Strafrechts | Bijan Fateh-Moghadam |
Autorschaft als Medium der Entdifferenzierung? | Martina Wagner-Egelhaaf und Christian Sieg | |
Die säkularen Christen. Rekonstruktion eines Modus deutscher Selbstbeschreibung in den medialen Debatten über die Integration von Migranten | Hendrik Muijsson | |
Diskussion und Schlussdiskussion | ||
20:00 | Öffentliche Podiumsdiskussion „Blasphemie und Beschneidung – Religionen im öffentlichen Raum“ |
Blasphemie und Beschneidung – Religionen im öffentlichen Raum
Öffentliche Podiumsdiskussion des Exzellenzclusters in der städtischen Reihe „Dialoge zum Frieden“
Rathausfestsaal, (Eingang Stadtweinhaus) am Prinzipalmarkt 9, 48143 Münster, 20 Uhr
Die Religion ist ins Zentrum der gesellschaftlichen Debatte gerückt. Jüngste Beispiele: der Streit um die Beschneidung von Jungen und die Strafbarkeit der Gotteslästerung. Auch Auseinandersetzungen um Kreuz und Kopftuch werfen Fragen auf: Wollen wir der Religion im öffentlichen Raum mehr oder weniger Platz einräumen – oder sogar einigen Religionen mehr und anderen weniger? Antworten der verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen und Religionen, aus jüdischer, christlicher und islamischer Sicht, geben auswärtige Gäste und Forscher des Exzellenzclusters „Religion und Politik“.
Mit Dr. Navid Kermani, Regina Klapheck, Katharina Jestaedt, Prof. Dr. Ulrich Willems und Prof. Dr. Fabian Wittreck (Einführung: Prof. Dr. Barbara Stollberg-Rilinger, Moderation: Gisela Steinhauer).