„Schweigen als politische Stellungnahme“
Expertin sieht katholische Kirche in Paraguay nach Präsidentenwechsel zerrissen
Nach dem plötzlichen Präsidentenwechsel in Paraguay Ende Juni zeigt sich die katholische Kirche im Land einer Expertin zufolge politisch zerrissen. „Während die Ordensleute umgehend an der Rechtmäßigkeit der Amtsenthebung von Präsident Fernando Lugo zweifelten, hält sich die paraguayische Bischofskonferenz bis jetzt gänzlich mit politischen Äußerungen zurück“, schreibt Lateinamerika-Historikerin Antje Schnoor in der Rubrik „Ansichtssachen“ der Website www.religion-und-politik.de des Exzellenzclusters „Religion und Politik“ der Uni Münster. Der Vatikan wiederum habe nicht gezögert, den neuen Präsidenten Federico Franco offiziell anzuerkennen. Dabei müsse man die Amtsenthebung Lugos als Putsch ansehen, der „lediglich den Anschein eines demokratischen Vorganges hatte“.
In ihrem Beitrag untersucht Schnoor, die der Graduiertenschule des Exzellenzclusters angehört, die politischen und wirtschaftlichen Folgen des Machtwechsels in Paraguay. Sie analysiert insbesondere die politische Rolle der katholischen Kirche im aktuellen Geschehen. „Auch aus der Kirche sind Stimmen zu hören, bei der Amtsenthebung Lugos handle es sich um einen Staatsstreich. Allerdings zeigt sich nach dem Sturz des Präsidenten die Zerrissenheit der katholischen Kirche.“
Die katholische Kirche als politischer Akteur
Es sei Zeit für „eine offizielle Erklärung des Episkopats, die die mangelnde Rechtsstaatlichkeit des parlamentarischen Putsches anprangert“, schreibt Schnoor in ihrem Beitrag. Die Bischofskonferenz solle „endlich auf das laute Rufen zahlreicher Priester, Ordensleute und Laien reagieren, die eine angemessene Reaktion auf das politische Geschehen erwarten“. Die katholische Kirche sei ein politscher Akteur und das Schweigen der Bischofskonferenz müsse als politische Stellungnahme verstanden werden.
Wie groß die Bedeutung der Kirche in dem politischen Geschehen sei, lässt sich der Wissenschaftlerin zufolge daran erkennen, dass die neue Regierung sich durch die Kirche zu legitimieren versuche. „Francos Anhänger nutzten den Beistand einzelner Bischöfe, um die Kirche insgesamt als Unterstützerin des Präsidentensturzes erscheinen zu lassen.“ Eine solche Instrumentalisierung solle die Bischofskonferenz nicht länger zulassen.
In Paraguay zeigen sich der Historikerin zufolge nach der Amtsenthebung von Fernando Lugo, der bis zu seiner Präsidentschaft Bischof und Ordensmann war, kirchliche Gegensätze, die auch auf lateinamerikanischer Ebene bestehen. Seit den 1970er Jahren stelle die Konferenz der Ordensleute in Lateinamerika (CLAR) ein politisches Gegengewicht zum lateinamerikanischen Bischofsrat (CELAM) dar. Schnoor: „Mit ihrer deutlichen Kritik am Sturz beansprucht nun auch die paraguayische Konferenz der Ordensleute (CONFERPAR), als eigenständiger Akteur und ernst zunehmendes Gegengewicht zur Bischofskonferenz wahrgenommen zu werden.“
Undemokratischer Vorgang
Anlass für den Präsidentensturz waren gewalttätige Auseinandersetzungen zwischen Polizeikräften und landlosen Bauern, bei denen sechs Polizisten und elf Bauern ums Leben gekommen waren. Für den Tod der 17 Menschen wurde Präsident Lugo verantwortlich gemacht. Das Amtsenthebungsverfahren am 22. Juni 2012 wurde mit “schlechter Amtsführung“ begründet. „Formal gesehen handelte es sich um ein legales parlamentarisches Verfahren, durch das dem 2008 gewählten Lugo die Präsidentschaft entzogen wurde“, schreibt Schnoor. Das Verfahren habe jedoch weniger als 24 Stunden gedauert. Dieser „kurze Prozess“ habe die Mehrzahl der lateinamerikanischen Länder dazu gebracht, den Vorgang als undemokratisch zu bezeichnen. Umso befremdlicher wirke die Erklärung von Bundesentwicklungsminister Dirk Niebel (FDP) Ende Juni, der Amtswechsel sei „nach den Regeln der Verfassung“ zugegangen. Das Auswärtige Amt relativierte die Aussage später und erklärte, die Amtsenthebung in Paraguay „mit gewisser Sorge“ zu betrachten.
Antje Schnoor ist Mitglied der Graduiertenschule des Exzellenzclusters. Sie promoviert bei Historikerin Prof. Dr. Silke Hensel zum Thema „Priester und Politik. Die Haltungen der Jesuiten in Chile von 1964 bis 1983“. (ska/vvm)