Dilthey-Fellowship für Cluster-Historikerin

Mehr als eine halbe Million Euro für Forschungen zur mittelalterlichen Geschlechterpolemik

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Dr. Sita Steckel

Die Mittelalter-Historikerin Dr. Sita Steckel vom Exzellenzcluster „Religion und Politik“ hat für ein religionsgeschichtliches Forschungsprojekt ein Dilthey Fellowship erhalten. Diese Förderung ermöglicht exzellenten jüngeren Wissenschaftlern, neue, interdisziplinär relevante Felder zu erschließen. Sie wird gemeinsam von der Volkswagen Stiftung und der Fritz Thyssen Stiftung im Rahmen der Initiative „Pro Geisteswissenschaften“ vergeben. Die Förderung von mehr als einer halben Million Euro erlaubt es Steckel, über fünf Jahre hinweg zur Grundlegung eines europäischen Diskurses religiöser Diversität im 13. Jahrhundert  zu forschen, eine eigene Nachwuchsgruppe zu bilden und internationale Netzwerke aufzubauen.

Unter dem Arbeitstitel „Diversitas religionum“ hinterfragt die Historikerin ältere Ansichten, die dem christlichen Mittelalter als Inbegriff statischer vormoderner Religiosität ein abstraktes Wissen über „Religionen“ absprachen, genau wie die Fähigkeit zur Thematisierung religiöser Diversität. Steckel zufolge entstand um den Begriff der religiones, der im Spätmittelalter zumeist „Orden“ oder „religiöse Lebensformen“ bezeichnete, schon im 12. und 13. Jahrhundert eine breite Debatte um die Unterschiedlichkeit religiöser Lebensformen. Nicht zuletzt habe man um die Rolle der Frauen in der Kirche und die Moral der Priester gestritten.

Mittelalterliche Polemik hat ähnliche Funktionen wie heutige Debatten

Mittelalterliche Polemik hat nach Einschätzung der Wissenschaftlerin ähnliche Funktionen wie heutige Debatten: „Aufgeregte Polemik ist fast immer Teil des Umgangs mit Veränderungen im religiösen Bereich. Sie bewirkt meist die Entwicklung von Beurteilungskriterien und schafft so besseres Wissen über andere religiöse oder soziale Gruppen. Doch genauso werden Feindbilder verstärkt. Aus historischer Sicht darf es nicht darum gehen, diese Prozesse zu verharmlosen – wir müssen sie verstehen, in ihren negativen wie positiven Auswirkungen. Denn sie setzen sich letztlich bis heute fort.“

Das neue Forschungsprojekt widmet sich der innerchristlichen Polemik des 13. Jahrhunderts, die sich als zunehmend verflochten mit Argumenten gegen Häretiker, Heiden, Juden und Muslime erweist. Sie legt damit auch Fundamente für spätere Kategorien der Wahrnehmung von „Religionen“: Steckel vermutet, dass sich im Europa des 13. Jahrhundert, einer Zeit der Verwissenschaftlichung und Wissenssammlung, ein richtiggehendes Wissensarchiv zur Religionswahrnehmung formierte. Seit dem Spätmittelalter und der Reformation um weitere Elemente angereichert, habe sich dieses Wissen schließlich in den europäischen Missionen verbreitet und diente offenbar bis weit in die Neuzeit als Bezugspunkt religiöser Polemiken. Diese Prozesse sollen in der Projektarbeit erforscht und in der Zusammenarbeit mit Kolleginnen und Kollegen aus dem In- und Ausland in größere Bezüge gestellt werden. Die starke Verknüpfung von religiöser Polemik mit Alltags- und Geschlechtergeschichte macht das Thema nach Steckels Ansicht auch für die Lehre interessant.

Sita Steckel promovierte 2006 an der Ludwig-Maximilians-Universität München und forscht seit 2008 selbständig am Exzellenzcluster, unterbrochen von Gastaufenthalten an der Harvard University in den USA und in Paris. Sie forscht derzeit im Cluster-Projekt C5 „Häresie und Politik. Normbegründung und Verfahrensformen in innerkirchlichen Großkontroversen des 12. bis 14. Jahrhunderts“. (ska)