„Freundschaften sind wichtige soziale Werkzeuge“

Experte Prof. Dr. Michael Grünbart zum ersten „Tag der Freundschaft“ der Vereinten Nationen

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Prof. Dr. Michael Grünbart

Zum ersten internationalen „Tag der Freundschaft“ am Samstag heben Wissenschaftler die hohe soziale Bedeutung von Freundschaften hervor. Freundschaften und Freundschaftsnetzwerke hätten sich in der Geschichte immer wieder als wichtige soziale Werkzeuge erwiesen, sagte Historiker und Byzantinist Prof. Dr. Michael Grünbart vom Exzellenzcluster „Religion und Politik“ der Universität Münster. Er gehört dem internationalen Forschungsprojekt „Medieval Friendship Networks“ an, das über verschiedene mittelalterliche Kulturen hinweg vergleicht, wie Freundschaften funktionierten.

Prof. Grünbart sieht viele Parallelen zwischen Geschichte und Gegenwart: Zur Pflege politischer Verbindungen hätten in byzantinischer Zeit (330-1453) genauso wie heute Bankette zu Staatsbesuchen, Gastgeschenke, rote Teppiche und festliche Empfänge gedient. Die Feinheiten im diplomatischen Zeremoniell ähnelten sich ebenfalls stark, wenn man historische und gegenwärtige Abläufe vergleiche.

Parallelen zu sozialen Netzwerken

Überlieferte Briefe weisen nach den Worten des Wissenschaftlers gewisse Parallelen zu sozialen Netzwerken wie Facebook auf: „Dem Verfasser von Briefen ging es mitunter schlicht darum, ein Lebenszeichen zu geben, Neuigkeiten auszutauschen, sich in Erinnerung zu rufen oder einfach sein Schreib- und Lesebedürfnis zu stillen.“ Mit dem „Tag der Freundschaft“ am 30. Juli, den die Vereinten Nationen in diesem Jahr erstmals ausgerufen haben, soll an Freundschaften zwischen Personen, Ländern und Kulturen erinnert werden.

Wenn das Wort „Freundschaft“ in einem historischen Text fällt, rät Wissenschaftler Grünbart, dessen Bedeutung nicht mit heutigen Vorstellungen von emotionaler und uneigennütziger Verbundenheit zwischen Freunden gleichzusetzen. „Ganz offen schrieb beispielsweise 1158 ein Zeitgenosse über ein Abkommen zwischen Wilhelm I. von Sizilien und dem byzantinischen Kaiser Manuel I., dass keine ‚ehrliche Eintracht‘, sondern der gegenseitige Nutzen im Vordergrund stand. Obwohl die vermeintliche Freundschaft der beiden Herrscher alles andere als uneigennützig war, profitierten Kriegsgefangene und Soldaten sehr davon.“

Ein pragmatischer Freundschaftsbegriff

Die Menschen im mittelalterlichen byzantinischen Reich pflegten laut Grünbart einen pragmatischen Freundschaftsbegriff: „Man durfte Freundschaft einsetzen, um etwas zu erreichen.“ In der damaligen Politik sei Freundschaft häufig ein erster Schritt zur Anbahnung einer Verwandtschaftsverbindung gewesen, erläuterte der Experte. „Wollte das Kaiserhaus seine Beziehungen zu anderen Mächten festigen, ließ es freundschaftliche Bündnisse möglichst mit verwandtschaftlichen Verhältnissen untermauern.“ Die nach Byzanz verheirateten Prinzessinnen hätten einen griechischen Namen annehmen müssen. Wie Piroschka von Ungarn, Tochter der Adelheid von Rheinfelden und Ladislaus von Ungarn, die zu Beginn des 12. Jahrhunderts Johannes II. heiratete, wurden viele von ihnen zu ihrer Hochzeit auf den Namen „Eirene“, also „Frieden“, getauft.

Wie wichtig staatliche Freundschaft in ihrer Funktion als gesellschaftlicher Kitt war, zeigte laut Prof. Grünbart auch eine Episode ihrer Abwesenheit. Quellen hätten die Herrschaft von Andronikos I. Komnenos 1183 bis 1185 als unerträgliche „Zeit des Zwietrachts“ bezeichnet, in der „alle Bande des Vertrauens, selbst zwischen den engsten Verwandten, zerrissen waren“.

Prof. Grünbart forscht am Exzellenzcluster im Projekt B11 „Kaiser und Patriarch in Byzanz – eine spannungsreiche Beziehung“. Im Forschungsprojekt „Medieval Friendship Networks“ befasst er sich mit Freundschaften in der Geschichte. Die Ergebnisse einer Tagung des Netzwerkes, die sich mit dem Austausch von Gaben zur Freundschafts- und Netzwerkpflege im europäischen Mittelalter befasste, sind soeben in einem Sammelband in der Reihe „Byzantinistische Studien und Texte“ im Münsterschen LIT-Verlag erschienen. (bhe/vvm)