Warum es die "Grüne Flut" nie gab
Islamwissenschaftler Prof. Dr. Marco Schöller zur ZDF-Dokumentation über den "Heiligen Krieg"
Mit der am Dienstag ausgestrahlten ersten Folge der Dokumentation "Der Heilige Krieg" hat das ZDF nach Meinung des Religionswissenschaftlers Prof. Dr. Marco Schöller eine große Chance vertan. Der Experte kritisiert besonders die fiktionalen Szenen und die Karten, mit denen die islamische Expansion der ersten Jahrhunderte dargestellt wurde. "Sie schaffen die Illusion einer ,grünen Flut‘, die es so niemals gegeben hat", betont der Islamwissenschaftler in einem Beitrag für die Website www.religion-und-politik.de des Exzellenzclusters "Religion und Politik" der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster (WWU).
Der Beitrag:
Was für eine Chance hat man da vertan! Nun hatte das ZDF die Zuschauer bereits in einer "Pilot-Doku", die Sonntagnacht ausgestrahlt wurde, auf das "Doku-Highlight" des Jahres vorbereitet. Mit salbungsvollen Worten bemühte sich dort Guido Knopp darzulegen, dass es bei den Konflikten zwischen Christen und Muslimen eigentlich gar nicht um den Glauben oder die Religion gehe, sondern vielmehr um weltliche Macht und irdische Herrschaft. Dieselbe Botschaft verlautete nun auch gestern Abend zu Beginn der ersten Folge der ZDF-Dokumentation "Der Heilige Krieg": Von Menschen und Mächten, die "nur um irdische Herrschaft ringen", handle die Serie. Nachdem man die erste Folge gesehen hatte, war es schwer, dieser Vorankündigung zu glauben. So gut wie sämtliche Partien der "fictional history" waren von religiösen Aussagen der Protagonisten dominiert ("Unser Weg ist der Pfad der Märtyrer!"), und der Rest bestand aus recht martialischen Kampfszenen kreuzbehängter Krieger oder "Allahu Akbar!" rufender Emire. Dabei frönte man ungeniert einem postmodernen Kitsch-Heroismus ("Gewährt mir die Ehre des ersten Angriffs!"), der mir sonst eher aus der Fantasy-Literatur geläufig ist. Zu den Bildern des Schlachtgetümmels musste man Ausführungen zur taktischen Disziplin ertragen, wie sie für gewöhnlich aus dem Mund von blassgesichtigen Computerfreaks zu hören sind, die vor ihrem Bildschirm Waterloo oder die Panzerschlacht bei Kursk im Multiplayer-Modus nachspielen.
Im Mittelpunkt der ersten Folge stand die Schlacht von Tours und Poitiers, die im Oktober 732 stattfand. Ein möglicherweise, wie auch zu Recht betont wurde, nicht unwichtiges Ereignis für Karl Martell und die Geschichte des Frankenreiches, wobei es aber mehr um Martells persönliche Machstellung und die Herrschaft über Aquitanien, weniger um eine Abwehr der "islamischen Expansion" ging. So jedoch wurde es in der ZDF-Doku insinuiert: "Bis nach Tours führte die Expansion", hieß es, und Karl Martell, der Held der Christenheit, brachte sie zum Stillstand: Es war "der Anfang vom Ende der muslimischen Expansion in Europa". Zugleich wurde man aber des Öfteren belehrt, dass das Bild der Schlacht in der Nachwelt verklärt worden sei und man dem Mythos des Sarazenenbezwingers Martell nicht zum Opfer fallen dürfe. Und hierin wird das Dilemma dieser wie auch anderer ZDF-Dokus ähnlicher Machart deutlich: Verschiedene Experten, Historiker wie auch Islamwissenschaftler, bemühten sich um eine sachliche Beurteilung der Fakten, doch wurden deren Aussagen durch die Bilder und die Kommentare zu den Spielfilmszenen, die eine durchaus andere Botschaft hatten, quasi bedeutungslos.