„Zu viele Klischees über Kirche und Gewalt“
Kirchenhistoriker Arnold Angenendt eröffnet Ringvorlesung mit Vortrag über Gottesfrevel
Über die historische Verantwortung der christlichen Kirchen für Religionsgewalt herrschen laut dem Münsteraner Kirchenhistoriker Prof. Dr. Arnold Angenendt zu viele Klischees. „Wir müssen neue Forschungserkenntnisse aufnehmen und überholte Vorurteile verabschieden. Unrecht muss ebenso benannt werden wie Positives“, sagte der Wissenschaftler des Exzellenzclusters „Religion und Politik“ in Münster zum Auftakt einer Ringvorlesung über „Religion und Gewalt“. Sein Vortrag trug den Titel „Gottesfrevel und Gotteszorn als Quellen der Religionsgewalt“.
Anhand von Beispielen aus mehreren Jahrhunderten Religionsgeschichte mahnte der Forscher zum vorsichtigen Umgang mit historischer Wahrheit. So sei das berüchtigte Stichwort „Inquisition“ sachlich zu betrachten, so Angenendt, ohne dass er damit begangenes Unrecht unter den Teppich kehren wolle: „Es ist eines der verbreitetesten Vorurteile, dass die Kirche die Ketzerverfolgung betrieben hat. Das hat jedoch der frühneuzeitliche Staat getan.“
Seit der Antike, seit dem Kodex Hammurabi und Platon, sind laut Angenendt all jene mit dem Tod bestraft worden, die Gottesfrevel, also eine „Frechheit gegen Gott“ begingen oder vom Glauben abfielen; das floss ins Staatsrecht ein. Das Christentum habe dies in seinen Anfangszeiten eindämmen können, doch der Staat der frühen Neuzeit habe sich von jedem kirchlichen Einspruch freigemacht und die Inquisition selbst betrieben.
Unzweifelhaft gab es nach den Worten des Experten Verfehlungen wie die päpstliche Wortführerschaft bei Kreuzzügen oder die theologische Rechtfertigung von Ketzertötungen, „sogar durch den Scholastiker Thomas von Aquin“. „Dennoch sind wesentlich weniger Menschen der Inquisition zum Opfer gefallen als allgemein angenommen.“ Neueste Forschungen sprächen zum Beispiel von knapp 100 Ketzer-Hinrichtungen während der Römischen und 826 Opfern während der Spanischen Inquisition.
Zorn magischer Gewalten, Geister oder Götter
Die Quelle von Religionsgewalt liegt nach Einschätzung von Angenendt in der für alle monotheistischen Religionen typischen Vorstellung von Gottesfrevel und Gotteszorn. „Ein Mensch, der Gott lästert, ruft den Zorn magischer Gewalten, Geister oder Götter herab. Dieser Gotteszorn muss möglichst vor seinem Ausbruch besänftigt werden, und zwar durch Beseitigung sowohl der Freveltat als auch des Frevlers“, so der Forscher. Im frühen Christentum sei diese Vorstellung allerdings vom Gebot der Gottesliebe überdeckt worden. Dazu gehörte Angenendt zufolge die Überzeugung, dass nur Gott, nicht der Mensch richten könne, welcher Glaube recht sei. „Erst mit der im Jahr 1000 einsetzenden Verstaatung des Rechts gewann die Idee des Gottesfrevels wieder die Oberhand. Man war überzeugt, dass weltliche Herrscher den Frevel einzudämmen hatten.“
Die Ringvorlesung des Exzellenzclusters beschäftigt sich im Sommersemester mit „Religion und Gewalt. Erfahrungen aus drei Jahrtausenden Monotheismus“. Es sprechen Vertreter unterschiedlicher Disziplinen wie Historiker, Germanisten, Theologen und Religionswissenschaftler. Die öffentlichen Vorträge mit anschließender Diskussion finden dienstags ab 18.15 Uhr im Hörsaal F2 des Fürstenberghauses am Domplatz 20-22 statt.
Die Ringvorlesung ist Teil der Reihe „Dialoge zum Frieden“, für die der Exzellenzcluster in der „Allianz für Wissenschaft“ mit der Stadt Münster kooperiert. In seinem Grußwort zu Beginn der Eröffnung lobte Prof. Dr. Franz-Josef Jakobi, Leiter des Arbeitskreises „1648 – Dialoge zum Frieden“, die langjährige Zusammenarbeit von Stadt und Universität: „Die Kooperation zwischen Stadt und Universität hat nicht zuletzt dank des hohen Maßes an Engagement des Exzellenzclusters eine Allianz der Wissenschaft hervorgebracht.“ (frö)