Göttliche und menschliche Gewalt
Wie mittelalterliche Herrscher die Makkabäerbücher zur Rechtfertigung von Gewalt nutzten
Gewalt in der Bibel verursacht nach Ansicht von Theologe PD Dr. Johannes Schnocks nicht zwangsläufig kriegerische Auseinandersetzungen. „Es geht immer wieder ganz konkret um politische und theologische Entscheidungen in der jeweiligen Gegenwart, gemessen am Maßstab der Heiligen Schrift und der Tradition der Kirchenväter“, so der Wissenschaftler. Gerade diesen Maßstab hätten oft bereits Zeitgenossen genutzt, um die Entscheidungen zu prüfen und zu kritisieren. Schnocks sprach in der Ringvorlesung des Exzellenzclusters „Religion und Politik“ über die Rezeption der ersten beiden Makkabäerbücher im Mittelalter.
Die Schilderungen von Gewalt in den Märtyrer- und Kriegsberichten der alttestamentlichen Makkabäerbücher sind nach den Worten von Schnocks für heutige Ohren kaum erträglich. „Wir Christen tragen ein erhebliches Maß von göttlicher und menschlicher Gewalt im Gepäck unserer Bibel durch die Kirchengeschichte“, unterstrich der Referent. „Immer wieder gab es auch religiöse Begründungen für gewalttätige Handlungen.“ So habe Papst Urban II. unmittelbar vor dem eigentlichen Ruf zu den Waffen einen Vers aus dem ersten Makkabäerbuch (1Makk 2,7) aufgegriffen, um 1095 zum Ersten Kreuzzug aufzurufen: „Wehe uns, warum sind wir geboren, um zu sehen das Verderben unseres Volkes und das Elend der heiligen Stadt und um dort zu sitzen, während das Heiligtum in die Hände der Feinde gegeben wird?“
Historischen Zusammenhang berücksichtigen
Der mittelalterliche Geschichtsschreiber Widukind habe das herrschaftslegitimierende Modell des ersten Makkabäerbuches auf die Sachsenkönige übertragen, die das karolingische Herrscherhaus ablösten, knüpfte Schnocks an eine These des Münsteraner Historikers Prof. Dr. Hagen Keller an. Gerade im Zusammenhang der Ungarnschlachten 933 und 955 beziehe sich Widukind auf den wunderhaften Charakter der Schlachtenschilderungen in 2 Makk. „Er nutzt einerseits die Konzeption der Fabel des ersten Makkabäerbuches, greift aber für die Darstellung auf Motive des zweiten Makkabäerbuches zurück.“
„Jede Auslegung des biblischen Textes ist nur in ihrem historischen Zusammenhang verständlich“, betonte der Theologe. Die Frage sei, ob und wie die literarische Gewalt in der Bibel und die geschehene Gewalt in der Geschichte miteinander verknüpft sind. Aus bibelwissenschaftlicher Perspektive widersprach er dem oft diskutierten strukturellen Zusammenhang von Gewalt und monotheistischen Religionen und warnte vor pauschalen Urteilen: „Es lohnt sich, in jedem Einzelfall genau hinzuschauen.“
PD Dr. Johannes Schnocks leitet am Exzellenzcluster das Forschungsprojekt D1 „Göttliche Gewalt. Religionsgeschichtliche und rezeptionshermeneutische Analysen zu den Gottesbildern der Hebräischen Bibel“. Im Kulturprojekt „Gewalt – Bedrohung – Krieg“, in dem sich Wissenschaftler des Clusters mit Georg Friedrich Händels Oratorium „Judas Maccabaeus“ beschäftigt haben, sprach er in der begleitenden Vortragsreihe.
In der Ringvorlesung „Religion und Gewalt. Erfahrungen aus drei Jahrtausenden Monotheismus“ kommen Vertreter unterschiedlicher Fächer zu Wort, unter anderem Historiker, Germanisten, Theologen und Religionswissenschaftler. Die öffentlichen Vorträge mit anschließender Diskussion finden dienstags ab 18.15 Uhr im Hörsaal F2 des Fürstenberghauses am Domplatz 20-22 statt. Die Reihe ist Teil der „Dialoge zum Frieden“, für die der Exzellenzcluster in der „Allianz für Wissenschaft“ mit der Stadt Münster kooperiert. In der nächsten Woche spricht Islamwissenschaftler Prof. Dr. Marco Schöller über „Wortgewalt, Kampf und Seelenheil: Warum es nicht den einen Dschihad gibt“. (bhe)