Islam gehörte immer zu Europa
Islamwissenschaftler Prof. Dr. Thomas Bauer im dpa-Gespräch
Die umstrittene Äußerung von Bundespräsident Christian Wulff, dass der Islam zu Deutschland gehört, ist aus Sicht des Islamwissenschaftlers Prof. Dr. Thomas Bauer nichts anderes als eine „Tatsachenfeststellung“. Für Forscher und Praktiker, die sich mit Kultur- und Integrationsfragen beschäftigten, sei diese Sicht „völlig selbstverständlich“, sagte der Experte vom Forschungsverbund „Religion und Politik“ der Universität Münster in einem Gespräch mit der Nachrichtenagentur dpa.
„Der Islam gehörte von Anfang an zu Europa“, sagte Bauer. „Man denke an das islamische Spanien, an das normannische Sizilien oder an den Einfluss der islamischen Philosophen auf die Scholastiker. Bei der Entfaltung der europäischen Kultur hatte der Islam seinen festen Platz. Man kann die Sache auch mal umdrehen und wird feststellen, dass das Christentum auch einen festen Platz im Islam hat. Die islamische Kultur ist multireligiös.“
Der Forscher betonte: „Dass wir über Jahrhunderte nur so wenig islamische Wohnbevölkerung in Europa hatten, ist nichts, worauf wir stolz sein können.“ So seien Moslems etwa in Spanien vertrieben oder zwangskonvertiert worden. „Was mich an der aktuellen Debatte besonders stört, ist die Vorstellung von streng getrennten Kulturen, die von Religionen beherrscht sind“, sagte Bauer. „Es fällt mir schwer, den Islam als etwas kulturell Abgrenzbares wahrzunehmen.“
Bauer sprach sich gegen die Verallgemeinerung aller Probleme unter dem Oberbegriff „Islam“ aus. Es habe wenig Sinn, auf so einer allgemeinen Ebene zu diskutieren. „Probleme mit Zuwanderern leugnet ja niemand.“ Aber: „Es ist nicht der Islam, mit dem man Probleme hat, sondern es sind vereinzelte Gruppen oder Strömungen.“
Nach Einschätzung des Wissenschaftlers hat sich das Feindbild einer islamischen Bedrohung mit Ende des Kalten Krieges herausgebildet. „Als ich 1980 anfing zu studieren, gab es noch eine völlig andere Vorstellung vom Islam. Da dachte man an die Hochkultur und an die Ölscheichs.“ (Christof Bock, dpa)