„Säkularismus in der Krise“

Ethnologin Prof. Dr. Helene Basu über die Wahrnehmung von religiöser Koexistenz und Konflikt in Indien

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Ethnologin Prof. Dr. Helene Basu

Trotz der jahrhundertelangen religiösen Vielfalt in Indien haben sich auf dem Subkontinent laut Ethnologin Prof. Dr. Helene Basu die Konflikte zwischen den Religionen verschärft. In der Ringvorlesung des Exzellenzclusters „Religion und Politik“ erläuterte die Wissenschaftlerin, wie Hindus und Muslime damit auf unterschiedliche Weise umgehen. Ihr Vortrag über „Religiöse Vielfalt in indischen Regionalkönigreichen. Hindu-Könige, muslimische Heilige und Jaina-Asketen“ deckte die Zeit vom Mittelalter bis heute ab. Die Wissenschaftlerin machte darin deutlich, dass unterschiedliche Konzepte von „Macht“ und „Religion“ eine wichtige Rolle für die Akzeptanz des jeweils anderen Glaubens spielen.

Zwar zeugt nach Ansicht von Prof. Basu schon die Dichte verschiedener Gotteshäuser von der langen Tradition einer recht friedlichen Koexistenz von Islam und Hinduismus in vielen Teilen Indiens. „Uttar Pradesh im Norden Indiens beispielsweise ist übersät mit Schreinen, Tempeln und Moscheen“, sagte die Ethnologin. 1992 zerstörten Anhänger der Hindu-nationalistischen Bewegung dort die Babri-Moschee, die ihnen zufolge auf dem Geburtsort des Gottes Rama errichtet wurde. Das hat laut Prof. Basu einen Wendepunkt in der öffentlichen Wahrnehmung bewirkt. „Seit den 1990er Jahren haben fundamentalistische Bewegungen größeren Einfluss in Indien gewonnen“, so die Wissenschaftlerin, „wodurch gewaltsame Konflikte zwischen Hindus und Muslimen in diesem säkularen Staat befördert werden.“

Neue Suche nach einer einheitlichen Religion

Wie die Ethnologin anhand von historischen Daten im Spiegel mündlicher Überlieferungen darstellte, haben Hindus und Muslime sich nicht immer als gegnerischen Religionen angehörend betrachtet. Vielmehr hätten sich Islam und Hinduismus wechselseitig beeinflusst und im Laufe der Jahrhunderte eine „transkulturelle indo-muslimische Kultur“ hervorgebracht. „Heutzutage aber gewinnen Deutungen von Religion und der Vergangenheit an Einfluss, die Gegnerschaft und Konflikt betonen.“

„An die Stelle der wechselseitigen Beeinflussung von Hinduismus und Islam tritt nun auf beiden Seiten die Suche nach einer einheitlichen Religion, die sich mitunter auch gewaltsam von der anderen Glaubensrichtung absetzt“, sagte die Expertin. Eine Ursache für diese Entwicklung sei in der kolonialen Vergangenheit des Subkontinents zu suchen. „Aus Sicht der britischen Kolonialverwaltung konnte es entweder Hindus oder Muslime geben, während soziale Differenzen in Indien weniger durch die Religions- als durch die Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe wahrgenommen wurden.“ Paradoxerweise habe gerade die Neutralität des kolonialen Staates gegenüber religiösen Angelegenheiten in Indien die Herausbildung von sich voneinander abgrenzenden Religionsgemeinschaften befördert.

Der nächste Termin der Ringvorlesung

In der nächsten Woche geht es in der Ringvorlesung des Exzellenzclusters um die „Akzeptanz religiöser Vielfalt heute“. Religionssoziologe Prof. Dr. Detlef Pollack spricht über die Situation in fünf europäischen Ländern. Die Ringvorlesung „Integration religiöser Vielfalt“ des Exzellenzclusters beleuchtet im Wintersemester aktuelle Fragen ebenso wie historische Beispiele von der Antike über das vormoderne China und Indien bis zum mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Europa. Beteiligt sind Historiker, Soziologen, Juristen, Judaisten, Theologen, Religionswissenschaftler und Ethnologen. (bhe)