Mit der katholischen Kirche gegen den italienischen Staat?
Was die Jubiläumsfeiern zur Gründung des italienischen Nationalstaats über die heutige Politik verraten
Italien feiert in diesem und im kommenden Jahr die Jubiläen entscheidender Stationen der nationalen Einigung in den Jahren 1861 und 1870. Wie diese Feiern aussehen, sagt nach Ansicht des Soziologen und Politologen Dr. Max Livi viel über das Verhältnis von Kirche und Staat sowie den Zustand der aktuellen Politik in Italien aus. „Hier geht es mehr und mehr darum, den Beginn des gesamten nationalen Einigungsprozesses und, letzten Endes, den italienischen Staat an sich politisch infrage zu stellen“, schreibt er in einem Beitrag für die Webseite www.religion-und-politik.de des Exzellenzclusters „Religion und Politik“ der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster (WWU). Keine Partei zeige mehr ein echtes Interesse für die Verteidigung eines einheitlichen und säkularen Staates. Gemeinsamer Nenner sei nur die Bereitschaft, die Kirche als politischen Partner zu betrachten, um den Katholizismus als politischen Integrationsfaktor zu benutzen. (arn)
Der Beitrag:
Vor einigen Wochen hat Italien zum 140. Mal einen der symbolträchtigsten Tage in seiner Geschichte gefeiert: Am 20. September 1870 drangen die Bersaglieri, eine Infanterietruppe des italienischen Königs Viktor Emanuel II., durch eine Bresche am antiken Stadttor der Porta Pia nach Rom ein. Die Stadt der Päpste wurde ein Teil des Königreichs Italien und – in der Nachfolge von Florenz – zu dessen neuer Hauptstadt. Der Kampf war wenig spektakulär, steht aber ohne Zweifel für ein folgenreiches, fundamentales Ereignis in der italienischen Geschichte. Mit ihm war der nationale Einigungsprozess, das Risorgimento, weitgehend abgeschlossen. Auf der Halbinsel gab es jetzt – auch wenn der heutige Historiker das sicher relativieren muss – einen modernen liberalen Staat. Vor allem aber hatte die Bresche in der Porta Pia die Auflösung des Kirchenstaates und das Ende der weltlichen Herrschaft der Päpste zur Folge.
Das hinterließ, als Kehrseite der Medaille, eine tiefe Spaltung unter den italienischen Katholiken und verursachte den Beginn einer komplexen Koexistenz zwischen dem itali-enischen Staat und der katholischen Kirche. Diese Problematik hat über Jahrzehnte die Herausbildung einer gesamtitalienischen Identität stark beeinflusst und bleibt bis heute ein bestimmender Faktor des italienischen politischen Diskurses.
Wie die Feierlichkeiten für den 140. Jahrestag dieser Ereignisse aussehen und was im kommenden Jahr geplant ist, wenn sich die Ausrufung Viktor Emmanuels II. zum König von Italien zum 150. Mal jährt: Das sagt daher viel über die aktuelle Verflechtung von Religion und Politik in Italien aus.