"Evangelische Freiheit"?

20 Jahre nach dem Mauerfall – und was wir daraus machen

Gastbeitrag Prof Grossboelting

Prof. Dr. Thomas Großbölting

Der Münsteraner Historiker Prof. Dr. Thomas Großbölting warnt vor Legendenbildung beim Gedenken an den Mauerfall vor 20 Jahren. Vor allem die Bedeutung der evangelischen Kirchen für das Ende der DDR dürfe nicht verklärt werden, schreibt Großbölting in einem Beitrag für die Homepage www.religion-und-politik.de des Exzellenzclusters „Religion und Politik“ der Westfälischen Wilhelms-Universität (WWU). „1989 war eine friedliche Revolution, aber keine protestantische“, auch wenn einige Kirchenvertreter dies inzwischen so darlegten, unterstreicht der Historiker.

Anfuehrungszeichen

Der Beitrag:

20 Jahre sind seit dem Tag vergangen, an dem die Zweistaatlichkeit Deutschlands überwunden wurde. Auch wenn uns heute die Bilder von den auf der Mauer tanzenden Menschen weit weg erscheinen, sollte sich im Gedenken an diesen Herbst 1989 niemand scheuen, die damals empfundene Hochstimmung und die bis heute mit diesem Ereignis verbundene Emotionalität in Erinnerung zu rufen. Wenn die französische Compagnie Royal de Luxe zum zwanzigsten Jahrestag zwei Riesenmarionetten durch Berlin laufen lässt, auf dass sich die beiden –  der Onkel in der Apparatur eines Tiefseetauchers, die Nichte im Südwester  – am Brandenburger Tor wiedersehen und in den Armen liegen, dann ist wenigstens der Versuch gestartet, auch diese Dimension zu würdigen.

Aber wie so oft macht schon der zweite Blick das gefühlige Großerlebnis kompliziert. Nicht nur an das „Wiedersehen in Berlin“ werden die ersten Fragen gestellt – warum eigentlich Onkel und Nichte? – , sondern auch an die Interpretation der 20 Jahre zurückliegenden Ereignisse überhaupt. Interessiert man sich für den Zusammenhang von „Religion und Politik“, wie es der gleichnamige Exzellenzcluster der Universität Münster tut, dann liegt es auf der Hand, ein landläufiges Vorurteil genauer zu betrachten: War die friedliche Revolution in der DDR auch oder sogar vor allem eine „protestantische Revolution“?

Gegen die „evangelische Freiheit“ sei das SED-Regime wehrlos gewesen, resümiert mit Arnd Brummer der Chefredakteur einer protestantischen Wochenzeitschrift, während andere Kirchenoffizielle wie der frühere sächsische Oberlandeskirchenrat Harald Bretschneider beklagen, dass eben dieser kirchliche Beitrag zur friedlichen Revolution immer mehr in Vergessenheit gerate. Die Idee von der protestantischen Revolution fügt sich zu schön in eine neubundesrepublikanische Gründungslegende, als dass sie nicht eine breite Resonanz finden würde: Angeleitet von der Zivilcourage a-politischer Pastoren mit Apostelbart und ungeschminkten Pastorinnen in praktischen Allwetterjacken habe die DDR-Bevölkerung sich vom Joch der SED-Diktatur befreit, um dann auf D-Mark und Demokratie zuzusteuern.

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