Gegen den Zwang im Namen der Freiheit

Katherine P. Ewing über Sexualität und Islam

Ringvorlesung Ewing
Prof. Katherine P. Ewing von der Duke University, North Carolina, war zu Gast in der Ringvorlesung des Exzellenzclusters.

Einbürgerungstests für Immigranten sind nach Ansicht von Katherine P. Ewing, Professorin an der Duke University in North Carolina, oft ein Ausdruck von „Zwang im Namen zur Freiheit“. In den Niederlanden hätten sich beispielsweise Muslime zur Vorbereitung Filme mit nackten Brüsten und küssenden Männer anschauen müssen. Das habe deren persönlichen, kulturellen und religiösen Empfindungen verletzt. Ewing behandelte das Thema „Unsere Sexualität bestimmen. Religiöse Hinwendung zu weltlichen Freiheiten“ jetzt in der Ringvorlesung des Münsteraner Exzellenzclusters „Religion und Politik“.

Die Anthropologin wandte sich außerdem gegen das Klischee, der Islam sei rückständig und unterdrücke die sexuelle Freiheit von Frauen und Homosexuellen. Sie berichtete von persönlichen Erfahrungen während eines Aufenthaltes in Pakistan. „Ich war schlichtweg schockiert, wie offen und detailreich die jungen Frauen dort zum Beispiel über ihre Hochzeitsnacht sprechen.“ Außereheliche – und nicht zuletzt auch homosexuelle – Beziehungen seien gang und gäbe, aber nicht in der Öffentlichkeit sichtbar gewesen.

Außerdem argumentierte Ewing historisch: Im 19. Jahrhundert habe es einen regelrechten Sextourismus europäischer Männer nach Marokko und Ägypten gegeben, die dort ihre gleichgeschlechtlichen Neigungen auslebten. Oft hätten erst die westlichen Kolonialherren homosexuelle Handlungen zur Straftat erklärt. Als rückständig habe der Islam paradoxerweise immer gegolten – im 19. Jahrhundert wegen seiner angeblichen Lasterhaftigkeit und Freizügigkeit, heute dagegen wegen seiner angeblichen Unterdrückung der Sexualität.

Ewing kritisierte grundsätzlich, dass der Islam oft als Gegenüber der westlichen Gesellschaft gesehen wird, als „das Andere“ schlechthin. Die starre Unterscheidung und das öffentliche Ausdrücken von Identitäten wie „hetero“, „schwul“ und „lesbisch“ sei zudem nicht zwingend. Sie verhinderten vielmehr alternative Möglichkeiten, Begierden auszuleben. In den säkularisierten westlichen Gesellschaften stehe die Sexualität häufig im Zentrum der persönlichen Identität.

Die Bewegung für die Rechte von Schwulen und Lesben beurteilte Ewing mit Verweis auf ihren New Yorker Kollegen Joseph Assad ebenfalls kritisch. Sie trage ihre typisch westlichen Vorstellungen von persönlicher Identität und säkularer Toleranz an die islamischen Gesellschaften heran. Das löse heftige Gegenbewegungen aus. Es gebe jedoch auch noch andere Gründe dafür, dass viele Muslime Homosexualität als Sünde verdammten.

Am Dienstag, 9. Juni, referiert Prof. Dr. Hartmut Rosa (Friedrich-Schiller-Universität Jena) über die „Soziologische Theorie als Reflexion der Moderne“. Die Vorlesung steht allen Interessierten offen und findet um 18 Uhr im Hörsaal F2 des Fürstenberghauses statt. (arn)


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Prof. Dr. Hartmut Rosa auf den Seiten der Friedrich-Schiller-Universität Jena