Mehr Säkularität wagen! – Bericht zum Gastvortrag "Religion zwischen Innerlichkeit und Öffentlichkeit. Zur Rolle der Kirche im säkularen Staat"
In seinem Gastvortrag am Dienstag, den 10. Juli 2018 hat der Leipziger Systematische Theologe Prof. Dr. Rochus Leonhardt Stellung in der Debatte um die Rolle der Kirche im säkularen Staat bezogen. Der Abendvortrag wurde vom Centrum für Religion und Moderne und dem Institut für Ethik und angrenzende Sozialwissenschaften gemeinsam veranstaltet.
Nach einer eingangs gegebenen Skizze der historischen Entwicklung des deutschen Religionsverfassungsrechts, die ihren Fluchtpunkt in der 1919 in Weimar verabschiedeten religiösen Neutralität des Staates fand, fokussierte Prof. Dr. Leonhardt die aktuelle Herausforderung, dass eine statistische Abnahme der individuellen, religiösen Gebundenheit einerseits, andererseits mit einer steigenden Bedeutung des Religiösen in öffentlichen Debatten einhergehe.
Mit einem kunstvollen Rückgriff auf das Freud‘sche Motiv der „Wiederkehr des Verdrängten“ stellte der evangelische Theologe die These auf, dass die erhöhte Relevanz des Religionsthemas nicht mit früheren religiösen Konjunkturbewegungen verglichen werden könne, sondern – insbesondere durch den starken Fokus auf den Islam – ein neues und eigens zu erklärendes Phänomen sei.
An diese Gegenwartsdiagnose anschließend, reflektierte Prof. Dr. Leonhardt die Frage, zu welchem Verhalten der Kirche mit Blick auf diese kontroversen Entwicklungen geraten werden müsse. Eine Absage erteilte er dabei einerseits denjenigen Bemühungen, die unter dem Vorwand der Verletzung religiöser Gefühle auf eine Einschränkung säkularer Freiheiten abzielen. Andererseits sei aber auch eine Einschränkung der Religionsfreiheit abzuwehren, wie sie aus der Stilisierung der staatlichen Ordnung zu einer eigenen und ersten Wertordnung folgen kann. Den für die Kirche ratsamen und die Pointe des deutschen Religionsrecht treffenden Weg erkannte der Referent vielmehr darin, dass die Bedeutung der säkularen Rahmenordnung auch von Seiten der Kirche hervorgehoben werden müsse, weil eine Entfaltung der Religionsfreiheit nur innerhalb dieses säkularen Rahmens möglich werde. Zugunsten ihrer eigenen Kernaufgaben müsse die Kirche daher mehr Säkularität wagen.
Die interessierten Studierenden und Forschenden im gut besuchten Auditorium nutzten nach den anregend vorgetragenen Ausführungen die Gelegenheit für Rückfragen und weiterführender Debatte.