Münstersche Einstellungs- und Selbstwirksamkeits-Skala für Heterogenität (MESS-H): Ein Evaluationsinstrument im Rahmen der Qualitätsoffensive Lehrerbildung am Hochschulstandort Münster
In der Qualitätsoffensive Lehrerbildung der Universität Münster wird die quantitative formative Gesamtevaluation mit Hilfe eines Fragebogens erhoben, der in Anlehnung an bereits existierende Instrumente neu zusammengestellt bzw. konstruiert wurde.
Das Ziel bestand darin, ein ökonomisches Instrument zusammenzustellen, das relevante, durch universitäre Lehre veränderbare Konstrukte erfassen kann, die im Rahmen der Lehrkräftebildung und späteren heterogenitätssensiblen unterrichtlichen Handelns bedeutsam sind. Aufgrund der angestrebten Erhebungsbreite und der großen Heterogenität der beteiligten Teilprojekte und Fachgebiete muss ein solches Instrument jedoch zwangsläufig in Ausrichtung und Formulierung der Items eher allgemeiner Natur sein, um einen Überblick über die Entwicklungen an einem Hochschulstandort insgesamt zu ermöglichen.
Viele bereits existierende Instrumente behandeln in erster Linie Aspekte, die mit einem vergleichsweise engen Inklusionsverständnis einhergehen und sich vor allem auf Bereiche des sonderpädagogischen Förderbedarfs beziehen, während das vorliegende Instrument MESS-H auf Heterogenität im Allgemeinen zielt. In diesem Sinne wird die Prämisse der individuellen Förderung unabhängig von der Zugehörigkeit zu einer benachteiligten Gruppe (bspw. Lernbeeinträchtigung, Leseschwäche etc.) gesetzt, die in jeglicher Hinsicht Schüler*innen in ihrer Unterschiedlichkeit berücksichtigen soll. Bisher existierte kein Instrument, das einen solchen Schwerpunkt setzt.
Für den Fragebogen wurden die beiden Konstrukte Selbstwirksamkeitsüberzeugungen (d. h. die Einschätzung der eigenen Fähigkeiten, mit deren Hilfe man schwierige und/oder neue Herausforderungen bewältigen kann; vgl. Bandura, 1997) und Einstellungen (allgemeine oder situationsspezifische Bewertungen gegenüber bestimmten Themen, Personen etc.; vgl. auch Eagly & Chaiken, 1993) ausgewählt. Beide Konstrukte sind für das Lehrkräfte handeln und den Lernerfolg der Schüler*innen relevant (z. B. Baumert & Kunter, 2006; Voss et al., 2011) und zeigen auch positive Zusammenhänge zum Umgang mit Unterrichtsstörungen sowie zur Unterrichtsgestaltung (Bosse & Spörer, 2014; Wilbert et al., 2016). Anhand von Einstellungen (zum inklusiven Lernen) lässt sich zudem in gewissem Umfang das spätere Belastungserleben vorhersagen (Bosse et al., 2016).
Bei der Konstruktion wurden verschiedene Instrumente aus dem Bereich der Messung von Einstellungen und Selbstwirksamkeitsüberzeugungen herangezogen (u. a. Bosse & Spörer, 2014; Bosse et al., 2016; de Boer et al., 2012; Hecht, Niedermair & Feyerer, 2016; Seifried & Heyl, 2016; Wilbert, Urton & Grubert, 2016) und zueinander in Beziehung gesetzt. Es resultierte ein Instrument mit zwölf Aussagen: Für die Selbstwirksamkeit wurden die Bereiche "Diagnostik", "Förderung" und "Evaluation" (als drei Teilbereiche von zentraler Bedeutung im Rahmen der Qualitätsoffensive Lehrerbildung Münster) einbezogen, bei den Einstellungen wurden die Facetten "kognitiv" und "affektiv" (vgl. Eagly & Chaiken, 1993; aufgrund des differenzierten Angebots innerhalb der Teilprojekte nicht auf spezifischer Ebene erfasst) sowie die allgemeine professionelle Haltung zu Heterogenität berücksichtigt. Diese zwölf Items werden jeweils zu Beginn und Ende eines Semesters in den beteiligten Lehrveranstaltungen eingesetzt.
Zusätzlich wurden sechs Items zur Einschätzung der reflektierten Praxiserfahrung bzw. Qualität der Lehre in der besuchten Veranstaltung im Posttest aufgenommen. Hier soll eingeschätzt werden, inwieweit durch die besuchte Veranstaltung konkrete Hinweise gegeben oder Kompetenzen erworben wurden, mit deren Hilfe der spätere Umgang mit Heterogenität erleichtert werden kann. Tabelle 1 zeigt einige Beispielitems.
Die internen Konsistenzen bewegen sich in einem zufriedenstellenden bis guten Bereich, auch verglichen mit anderen Instrumenten (zur Übersicht in Bezug auf Inklusion, Selbstwirksamkeit etc. siehe Bosse & Spörer, 2014; für epistemologische Überzeugungen siehe auch Müller, 2009; Urhahne & Hopf, 2004).
In einer Vorstudie zeigte sich für den Fragebogen ein vergleichsweise guter Modellfit bezüglich eines Modells mit den beiden Faktoren "Einstellungen" und "Selbstwirksamkeit".
Tabelle 1: Items des MESS-H – Beispiele
Skala |
Beispiel-Items |
---|---|
Selbstwirksamkeit | Ich fühle mich kompetent, unterschiedliche Facetten der Lernausgangslagen von Lernenden zu erkennen. |
Es fällt mir schwer, in heterogenen Lerngruppen für jede*n Lernende*n günstige Lernbedingungen zu gewährleisten. | |
Ich fühle mich in der Lage, von mir durchgeführte Lehr-/Lernangebote angemessen zu evaluieren. | |
Einstellung | Das gemeinsame Lernen von Menschen in heterogenen Lerngruppen ist förderlich für die Entwicklungsprozesse aller Lernenden. |
Für mich ist der Umgang mit unterschiedlichsten Lernvoraussetzungen eine Bereicherung des Lehrberufs. | |
Reflektierte Praxiserfahrung / Qualität der Lehre | Die Verknüpfung von Theorie und Praxis in der Veranstaltung hilft mir, die Planung von Lehr-Lern-Prozessen für heterogene Lerngruppen zu verbessern. |
Ich habe in der Veranstaltung konkrete Hinweise dazu erhalten, wie ich die Gestaltung von Lernsituationen an die individuellen Voraussetzungen der Lernenden anpassen kann. | |
Ich habe in der Veranstaltung konkrete Hinweise dazu erhalten, wie ich den Leistungsfortschritt nach unterschiedlichen Kriterien messen kann. |
Literatur
Bandura, A. (1997). Self efficacy: The exercise of control. New York: Freeman.
Baumert, J. & Kunter, M. (2006). Stichwort: Professionelle Kompetenz von Lehrkräften. Zeitschrift für Erziehungswissenschaft, 9, 469-520.
Bosse, S., Henke, T., Jäntsch, C., Lambrecht, J., Vock, M. & Spörer, N. (2016). Die Entwicklung der Einstellung zum inklusiven Lernen und der Selbstwirksamkeit von Grundschullehrkräften. Empirische Sonderpädagogik, 1, 103-116.
Bosse, S. & Spörer, N. (2014). Erfassung der Einstellung und der Selbstwirksamkeit von Lehramts-studierenden zum inklusiven Unterricht. Empirische Sonderpädagogik, 4, 279-299.
de Boer, A., Timmerman, M., Pijl, S. J. & Minnaert, A. (2012). The psychometric evaluation of a questionnaire to measure attitudes towards inclusive education. European Journal of Psychological Education, 27, 573-589.
Eagly, A.H. & Chaiken, S. (1993). The psychology of attitudes. Fort Worth, TX: Harcourt Brace Jovanovich.
Hecht, P., Niedermair, C. & Feyerer, E. (2016). Einstellungen und inklusionsbezogene Selbstwirksamkeitsüberzeugungen von Lehramtsstudierenden und Lehrpersonen im Berufseinstieg – Messverfahren und Befunde aus einem Mixed-Methods-Design. Empirische Sonderpädagogik, 1, 86-102.
Müller, S. (2009). Methoden zur Erfassung epistemologischer Überzeugungen von Handelslehramtsstudierenden – Eine empirische Vergleichsstudie. In K. Rebmann (Hrsg.), Schriften zur Berufs- und Wirtschaftspädagogik (Band 5). München: Hampp.
Seifried, S. & Heyl, V. (2016). Konstruktion und Validierung eines Einstellungsfragebogens zu Inklusion für Lehrkräfte (EFI-L). Empirische Sonderpädagogik, 1, 22-35.
Urhahne, D. & Hopf, M. (2004). Epistemologische Überzeugungen in den Naturwissenschaften und ihre Zusammenhänge mit Motivation, Selbstkonzept und Lernstrategien. Zeitschrift für Didaktik der Naturwissenschaften, 10, 71-87.
Voss, T., Kleickmann, T., Kunter, M. & Hachfeld, A. (2011). Überzeugungen von Mathematiklehr-kräften. In J. Baumert, W. Blum, M. Kunter & M. Neubrand (Hrsg.), Professionelle Kompetenz von Lehrkräften. Ergebnisse des Forschungsprogramms COACTIV (S. 235-257). Münster: Waxmann.
Wilbert, J., Urton, K. & Grubert, J. (2016). Entwicklung eines Verfahrens zur Messung des inklusionsspezifischen Selbstwirksamkeitserlebens im schulischen Kontext. Empirische Sonderpädagogik, 3, 289-302.