Wann gehen die Erwartungen anderer zu Lasten der prosozialen Motivation?
Die Entwicklung individueller Autonomie und deren Konsequenzen für die prosoziale Motivation in der mittleren Kindheit
DFG-Projekt (KA 3451/7-1) in Kooperation mit Jorge Mantilla, Frank Mila (beide Universidad de Otavalo) und Shoji Itakura (Kyoto University)
Laufzeit: 2022 bis 2025
Kontakt: Anneliese Skrobanek & Joscha Kärtner
Schon früh in der Entwicklung sind Kinder intrinsisch motiviert, anderen zu helfen und deren Aufforderungen zu befolgen. Der zentrale Ausgangspunkt und die Grundannahme des vorliegenden Antrags sind erste Befunde, die zeigen, dass sich in independenten Kulturen im Laufe der mittleren Kindheit aus einem relationalen Verständnis von Autonomie, in dem die prosozialen Erwartungen anderer als kompatibel zu den eigenen Wünschen und Vorstellungen erlebt werden, ein individuelles Verständnis von Autonomie herausbildet, in dem die prosozialen Erwartungen anderer als Einschränkung der eigenen Autonomie erlebt werden. Infolgedessen sollten Kinder mit einem stärker individuellen Verständnis von Autonomie prosoziales Verhalten nur dann als selbstbestimmt erleben, wenn es ohne äußere Zwänge und aus freier Entscheidung gezeigt wird. In diesem Sinne werden die Erwartungen anderer zunehmend als negativ erlebt, was zulasten der prosozialen Motivation gehen sollte. Darauf aufbauend sind die zentralen Ziele des vorliegenden Antrags, erstens, im Altersbereich von 6 bis 11 Jahren die Entwicklung individueller und kultureller Unterschiede in der individuellen Autonomie zu dokumentieren und, zweitens, die beschriebenen Konsequenzen zu prüfen, die diese Unterschiede für die prosoziale Motivation haben, die dem aufgeforderten und dem spontanen Hilfeverhalten zugrunde liegt. In den ersten beiden Studien wird die Entwicklung individueller (Studie 1) und interkultureller (Studie 2) Unterschiede hinsichtlich der individuellen Autonomie erfasst, um die zentrale Annahme zu testen, dass prosoziale Aufforderungen umso stärker zulasten der prosozialen Motivation gehen sollten, je stärker die individuelle Autonomie ausgeprägt ist. Um die Interpretation mittels korrelativer (Studie 1) und quasi-experimenteller (Studie 2) Designs weiter zu stärken, wird in einer Priming-Studie das Autonomie-Konzept der Kinder experimentell manipuliert (relational vs. individuell), um zu prüfen, ob sich dieselben Konsequenzen für den Effekt prosozialer Aufforderungen auf die Motivation ergeben (hier sollte der Effekt der Aufforderung bei Priming der individuellen Autonomie stärker sein). In Studie 4 wird schließlich der Übertrag von den Effekten, die bisher vorwiegend über Vignetten untersucht wurden, in denen die Probanden den Wunsch und die Zufriedenheit eines Akteurs bzgl. des eigenen Hilfeverhaltens beurteilen, auf das direkte Erleben und Verhalten untersucht, indem in drei Kulturen (Münster, Deutschland, Kyoto, Japan und Otavalo, Ecuador) untersucht wird, wie sich Aufforderungen auf die prosoziale Motivation der Kinder auswirken. Insgesamt erlauben es die verschiedenen methodischen Ansätze, die zentrale These zu prüfen, dass es maßgeblich von der Entwicklung der Autonomie abhängt, ob soziale Erwartungen sich nachteilig auf die prosoziale Motivation auswirken.