Forschungsschwerpunkt: Hypertexte als aktive Lernumgebung


Hypertexte als aktive Lernumgebung

Der sichere Umgang mit Hypertexten wird aufgrund des Internet und entsprechend aufgebauter Software zu einem wesentlichen Bestandteil künftiger Medienkompetenz. Darüber hinaus können Hypertexte möglicherweise den Erwerb von schulischem und universitärem Wissen unterstützen. Wir nehmen an, dass die besonderen Strukturmerkmale der Hypertexte (Knoten, Links, "nicht-lineare" Struktur) Anforderungen an die Gestaltung der Dokumenten stellen, die Lernende bei der eigenständigen Konstruktion von Hypertexten zu einer vertieften Auseinandersetzung mit semantischen Zusammenhängen und Strukturen innerhalb des zu verarbeitenden Sachgebiets anregen. Diese Verarbeitungsprozesse können als wesentliche Voraussetzung für den Erwerb flexibel anwendbaren Wissens angesehen werden.

 Lernen durch das Schreiben von Hypertexten bietet Ihnen eine kurze theoretische Einführung zu unserem Konzept.
Förderung des Erwerbs von flexiblem Wissen durch die Erstellung von Hypertext-Dokumenten. In dem durch die DFG geförderten Projekt wurden lernförderliche Instruktionen zur Erstellung von Hypertexten und die kognitiven Prozesse, die die Hypertext-Konstruktion begleiten, untersucht.

Hypertexte im Netz als aktive Lernumgebung bietet Informationen zu Beobachtungen zum Umgang mit Hypertexten im Schulunterricht.



Lernen durch das Schreiben von Hypertexten

Präsentationsform: Hypertext


Der Begriff "Hypertext" bezeichnet eine computergestützte Präsentationsform von Texten und Bildern, bei der die zu übermittelnden Inhalte als separate Einheiten ("Knoten" genannt) einzeln auf dem Bildschirm aufgerufen werden. Um von einem Knoten zum nächsten zu gelangen, werden - zumeist mit dem Mauszeiger - bestimmte Ikone oder besonders markierte Passagen in den Texten oder Bildern aktiviert. Diese sogenannten "Links" stellen elektronische Verknüpfungen zwischen (semantisch) zusammengehörigen Knoten dar und lassen sich als Externalisierungen von Verweisen beschreiben. Hypertexte bieten somit die Möglichkeit, eine Vielzahl einzelner Knoten zu großen Informationsnetzen zu verknüpfen. In dem weltumspannenden Informationsnetz Internet findet seit Aufkommen des World Wide Web dieses Prinzip der Informationsdarstellung zunehmende Verbreitung.

Das Rezipieren und Produzieren von Hypertexten stellt allerdings andere Anforderungen an Leser und Autoren, als dies von Printmedien bekannt ist. Dies gilt umso mehr, je stärker in Hypertexten der lineare Informationsfluss zugunsten einer vernetzten Struktur der Informationen aufgebrochen wird. Eine Hypertext-Struktur, in der jeder Knoten von einer Vielzahl anderer Knoten angesteuert werden kann, stellt eine ungewohnte Textform dar, für die sich auf Seiten der Leser und der Autoren erst Verständnis für einen gewinnbringenden Umgang entwickeln muß.

Lernen durch Hypertext-Schreiben

Den theoretische Hintergrund des Projekts bilden Modelle der Textproduktionsforschung. Grundsätzlich nehmen wir an, dass Schreiben in dem ungewohnten Textformat "Hypertext" für die Lerner einen Problemlöseprozess darstellt, bei dem sie nicht einfach auf ihre bislang ausgebildeten Routinen des Schreibens zurückgreifen können. Das Schreiben von Hypertexten stellt besondere Anforderungen an die Gestaltung der Dokumente, die sich aus den Merkmalen des Textformats Hypertext ergeben: den Knoten, den Links und der nicht-linearen Struktur. Wie können die Merkmale der Hypertexte den Wissenserwerb beim Schreiben (in einem optimalen Fall) unterstützen?

- Das Schreiben der Texte für die Knoten erfordert Entscheidungen zu treffen, wie die Inhaltsbereiche und Begriffe des zu verarbeitenden Themas auf die einzelnen Knoten zergliedert werden können. Somit trägt das Schreiben der Knotentexte zum Verständnis von Begriffen und begrifflichen Abgrenzungen bei.

- Das Einfügen der Links erfordert, sich die semantischen Zusammenhänge bewußt zu machen, die zwischen diesen Begriffen bestehen. Ein durchdachten Setzen der Links kann somit zum tieferen Verständnis der semantischen Bezüge zwischen den Begriffen, die in den einzelnen Knoten erklärt werden, beitragen.

- Um die Gesamtstruktur des Hypertexts zu planen, muss der Autor die Struktur der Inhalte verarbeiten. Durch ihre nicht-lineare Struktur können Hypertexten in verschiedenen Weisen gelesen werden. Entsprechend muss der Autor eines Hypertexts mögliche Leserperspektiven antizipieren, um flexible Wege zum Lesen des Hypertexts zu erstellen. Diese Berücksichtigung verschiedener Leserperspektiven erhöht das Verständnis der semantischen Strukturen des Inhalts und die flexible Nutzung des neuen Wissens.



Förderung des Erwerbs von flexiblem Wissen durch die Erstellung von Hypertext-Dokumenten.

Forschungsziele

In einem durch die DFG geförderten Projekt untersuchten wir die Auswirkungen verschiedener Instruktionen auf den Konstruktionsprozess von Hypertexten und den resultierenden Wissenserwerb: Zuerst ist es für Lerner entscheidend, ein geeignetes Vorstellungsmodell über die Textfom Hypertext zu entwickeln. Da Hypertexte bislang vor allem über Metaphern eingeführt werden, untersuchten wir im ersten Experiment, ob eine Buch-Metapher oder eine Raum-Metapher geeigneter ist, Hypertexte einzuführen. In der zweiten Studie untersuchten wir, inwieweit das Verständnis der mittels Links ausgedrückten semantischen Zusammenhänge gefördert werden kann, indem die Probanden die von ihnen gesetzten Links zusätzlich typisieren. In der dritten Studie untersuchten wir, inwieweit die Einnahme multipler Leser(ziel)perspektiven eine lernförderliche Form darstellt, um mit der "nicht-linearen" Struktur von Hypertexten umzugehen.

Methode

Das generelle Experimentaldesign war in allen drei Studien gleich. Nach einem Training mit dem HTML-Editor und den entsprechenden Instruktionen hatten die Probanden in Einzelsitzungen 16 vorgegebene Knoten mit Texten zum Thema Internet zu einem Hypertext zu verknüpfen. Ihre am Bildschirm sichtbaren Tätigkeiten wurden mittels eines am Computer angeschlossenen Videorekorders aufgezeichnet. Alle 2 Minuten wurden sie aufgefordert, ihre momentanen Entscheidungen zu äußern, die mittels Mikrofon aufgezeichnet wurden. In der Auswertung wurden sowohl diese Prozessdaten, als auch die Hypertexte analysiert, sowie das erworbene Wissen über das Thema Internet mittels eines umfangreichen Tests überprüft.

Hauptergebnisse

Die Ergebnisse zeigen, dass die Metaphern, mit denen Hypertexte eingeführt werden, die anschließenden Konstruktionsprozesse und Produkte massiv beeinflussten. Die Raum-Metapher schien geeigneter, die komplexe Struktur von Hypertexten zu verdeutlichen, als die Buch-Metapher. Allerdings schienen die Metaphern zwar notwendig, aber nicht hinreichend, um die gewünschte Verarbeitungstiefe zu initiieren. Die Aufgabe, jedes zu setzende Link mittels semantischer Relationen zu typisieren, förderte ein tieferes Verständnis einzelner inhaltlicher Zusammenhänge des zu verarbeitenden Themengebietes, konnte aber das Verständnis komplexerer inhaltlicher Strukturen nicht verbessern. Die Berücksichtigung verschiedener Leserperspektiven förderte den Erwerb von flexibel anwendbarem Wissen. Sie stellt eine lernförderliche Form dar, mit der nicht-linearen Struktur von Hypertexten umzugehen.




Hypertexte im Netz als aktive Lernumgebung

Der Erfolg des Einsatzes neuer Informationstechnologien in der Schule hängt wesentlich davon ab, wie gut es gelingt, die neuen Techniken mit den didaktischen und curricularen Konzeptionen der beteiligten Unterrichtsfächer zu verknüpfen. Wir gehen davon aus, dass die eigenständige Konstruktion von Hypertexten durch Schüler und Schülerinnen eine kooperative Lernumgebung bietet, in der durch die Aufbereitung von Lerninhalten als Hypertext sowohl eine selbständige Aneignung des Lernstoffs als auch eine Erhöhung der Medienkompetenz erzielt werden können. Die Strukturierungsmöglichkeiten der Hypertexte erfordern es, sich genau zu überlegen, wie Inhalte auf einzelne Knoten zergliedert dargestellt werden sollten, und wo mit Hilfe der Links semantisch relevante Zusammenhänge aufgezeigt werden müssen. Somit kann die Konstruktion von Hypertexten zu einer intensiven Auseinandersetzung mit den Zusammenhängen und Strukturen innerhalb des aufzubereitenden Sachgebiets beitragen.

In fünf Schulprojekten wurden Hypertexte als didaktisches Mittel eingeführt. Das Ziel der Lehrer bestand darin, den Erwerb von Wissen um das zu verarbeitenden Sachgebiet mit dem Erwerb von Medienkompetenz zu verbinden. Bei den beteiligten Schulen handelte es sich um Gymnasien aus dem Umkreis von Münster (Gymnasium Arnoldinum, Steinfurt; Gymnasium Borghorst, Steinfurt-Borghorst; Städtisches Gymnasium Haltern; Goethe Gymnasium, Ibbenbüren). Das Ziel der Felduntersuchungen bestand darin, durch Unterrichtsbeobachtungen und Tests Erkenntnisse darüber zu gewinnen, wie (gut) Lehrer mit ihren Schulklassen von sich aus die Aufgabe, einen Hypertext zu schreiben, bewältigen. Entsprechend wurden versucht, das Unterrichtsgeschehen möglichst wenig zu beeinflussen. Obwohl die Projekte in Bezug auf die behandelten Unterrichtsthemen, die vorhandenen Computerausstattungen, die Projektzeiträume, die Klassenstufen etc. sehr heterogen waren, lassen sich einige allgemeine Schlussfolgerungen ableiten:

  1. Alle Lehrer nutzten Metaphern, um das ungewohnte Textformat Hypertext einzuführen. Dies geschah jeweils durch metaphorische Vergleiche, die entweder als Raum-Metaphern klassifiziert werden können, oder als nicht-räumliche Metaphern (wie Bücher, Computerverzeichnisse).
  2. Nur in Klassen, die eine räumliche Metapher nutzten, fand sich eine Interaktion zwischen den Überlegungen zur Hypertext-Struktur und der Struktur der Sachinhalte. In den Klassen, die nicht-räumliche Metaphern nutzten, wurde die Aufmerksamkeit hingegen stärker auf die Erstellung der einzelnen Knoten gelenkt, während die Diskussion um Zusammenhänge und Strukturen vernachlässigt wurde.
  3. Nur in den Klassen, die alle von uns als lernförderlich angesehenen Anforderungen (siehe Lernen durch das Schreiben von Hypertexten) berücksichtigten, sind Hinweise auf eine Förderung des Wissenserwerbs durch das Schreiben von Hypertexten zu finden.

Die Schulstudien bieten einen empirischen Hinweis, dass die Merkmale der Hypertexte den Wissenserwerb unterstützen können. Nur in den Projekten, in denen die Hypertexte so gestaltet wurden, dass sie diese Anforderungen erfüllten, fanden sich Hinweise für den angestrebten Lernprozesse. Die Ergebnisse bestätigen die Bedeutung geeigneter Instruktionen, um die Lernenden auf die Anforderungen von Hypertexten vorbereiten und die aktive Auseinandersetzung mit ihnen fördern.

Ansprechpartner: Rainer Bromme, Elmar Stahl