Die WILSON'sche Renormierungsgruppe (RG) [WK93] hat sich einen festen Platz in der statistischen Mechanik und der euklidischen Quantenfeldtheorie erobert. Sie liefert eine natürliche Beschreibung von kritischen Phänomenen mit anschaulichen Begriffen. So läßt sich z. B. das Auftreten von Universalität durch die Existenz von RG-Fixpunkten verstehen, in deren Einzugsbereich eine ganze Klasse von mikroskopisch verschiedenen kritischen Theorien liegt.
Eine wichtiger Problemkreis mit vielen offenen Fragen ist, wie man die WILSON'sche RG zur konkreten quantitativen Berechnung kritischer Größen einsetzen kann.
Das zentrale Objekt der RG ist die effektive Hamiltonfunktion. Man erhält sie durch Ausintegration der kurzwelligen Freiheitsgrade in der Zustandssumme. Dies geschieht (im Prinzip) exakt. Bei der RG-Transformation bleibt die Zustandssumme erhalten, die Korrelationslänge hingegen verkleinert sich um den Skalenfaktor der Transformation.
Es gibt zwei typische Situationen. Erstens, die Korrelationslänge der Ausgangstheorie ist endlich. Dann führt eine iterierte Anwendung von RG-Transformationen nach einer endlichen Zahl von Schritten zu einer sehr kleinen Korrelationslänge. Die resultierende Theorie kann dann mit Standardmethoden (wie z. B. konvergente Entwicklungen oder Monte-Carlo) ausgewertet werden. Zweitens, die Korrelationslänge der Ausgangstheorie ist unendlich. Dann führt typischerweise die iterierte RG zu einem Fixpunkt. Die linearisierte RG in der Nähe dieses Fixpunktes liefert dann Auskunft z. B. über kritische Exponenten.
Eine Voraussetzung für eine quantitative Auswertung dieser Situation ist natürlich, daß man die einzelnen RG-Schritte (also die Berechnung der effektiven Hamiltonfunktionen) mit vernünftigem Aufwand unter Kontrolle bekommt.
Die zentrale Idee der RG ist, dadie Ausintegration der hochfrequenten Freiheitsgrade der Berechnung einer Zustandssumme entspricht, die sowohl einen Ultraviolett- als auch einen Infrarot-Cutoff hat. Letzterer sorgt im allgemeinen dafür, daß in dem zu berechnenden Hilfssystem Korrelationen über Abstände größer als stark unterdrückt sind. Folglich sollte die Berechnung der effektiven Hamiltonfunktion ungleich einfacher sein als das Studium der vollen kritischen oder fast kritischen Theorie. Zusammengefaßend bedeutet dies, dadie Renormierungsgruppe es im Prinzip erlaubt, ein schwieriges bis unlösbares Problem in eine Folge von handhabbaren Aufgaben zu zerlegen.
In der Praxis beobachtet man zunächst, daß eine RG-Transformation aus einer Hamiltonfunktion mit wenigen Kopplungsparametern sofort eine Hamiltonfunktion mit unendlich vielen Parametern macht. Da man bei praktischen Rechenverfahren nur endlich viele Kopplungen handhaben kann, gilt es, eine brauchbare Parametrisierung mit endlich vielen Parametern zu finden. ``Brauchbar'' soll hier bedeuten, daß die Iteration der RG, die auf endlich viele Parameter beschränkt wurde, zu Fehlern führt, die für die Berechnung der interessierenden Größen (wie z. B. der Korrelationslänge) in vorgegebenen Schranken bleiben.
Ob es solche ``brauchbaren'' Parametrisierungen und dazugehörige Rechenverfahren gibt, ist für viele Modelle (vor allem bei Anwesenheit starker Kopplungen) eine offene Frage. Die vorliegende Arbeit gibt einen Beitrag zur Antwort auf diese Frage im Kontext des 2-dimensionalen Sine-GORDON-Modells.
Das Sine-GORDON-Modell ist ein wichtiger Vertreter einer Klasse von Modellen, die SOS- (solid-on-solid) Modelle genannt werden [ABR86]. Diese Modelle können zur Beschreibung des ``surface roughening'' in Grenzflächen herangezogen werden. Sowohl die interessante Phasenstruktur (Phasenübergang unendlicher Ordnung vom KOSTERLITZ-THOULESS-Typ [KOS74][KT73]) als auch die relative Einfachheit von analytischen Rechnungen (z. B. Störungstheorie) machen das Modell zu einem interessanten Studienobjekt.
In dieser Arbeit werden sowohl mit der Monte-Carlo-Methode als auch mit Störungstheorie Untersuchungen zur konkreten Berechnung und Brauchbarkeit von effektiven Hamiltonfunktionen des Sine-GORDON-Modells vorgenommen.
Die Arbeit gliedert sich in fünf Kapitel.
In Kapitel 1 werden grundlegende Definitionen gegeben und GAUSS'sche Maße
und das Sine-GORDON-Modell definiert. Des weiteren wird ein grober
Abriß des KOSTERLITZ-THOULESS-Szenarios vorgestellt. Es werden
bereits Monte-Carlo-Resultate für das Verhalten der Schichtdicke mit
wachsender Gittergröße präsentiert.
In Kapitel 2 wird die RG-Transformation eingeführt. Es wird gezeigt,
wie man Taylorentwicklungen der effektiven Hamiltonfunktionen
aus Erwartungswerten in Hilfssystemen mit fixierten Blockspins
bekommen kann.
Zur Illustration und als Grundlage für die nachfolgenden Kapitel
wird dann der RG-Fluß der freien, masselosen Theorie
untersucht.
Im dritten Kapitel beginnen wir mit der Untersuchung
von effektiven Hamiltonfunktionen für das Sine-GORDON-Modell.
Zunächst wird das sog. Impuls-Null-Potential in
Störungstheorie und mit Monte-Carlo berechnet.
Danach geht es um den Fluß eines vereinfachten kinetischen Terms
und die Definition der Temperatur der effektiven Theorie.
Abschließend wird die Güte der gemachten Approximationen
studiert.
Nachdem die Resultate in Kapitel 3 eher negativ sind, wird
im vierten Kapitel eine Parametrisierung der Hamiltonfunktionen
gefunden, die zumindest für moderat kleine Fugazitäten
eine ``brauchbare'' Näherung darstellt. Leider sind
diese Hamiltonfunktionen für Monte-Carlo-Simulationen wegen
gewisser Nichtlokalitäten nicht so gut geeignet.
Im fünften Kapitel schließlich wird gezeigt, wie man
mit Hilfe der iterierten RG tatsächlich auf recht kleinen
Gittern die Physik der großen Abstände studieren
kann.