„Wir stehen am Anfang eines Mentalitätswandels“
In der Wissenschaft sind Frauen weltweit unterrepräsentiert. Dies gilt insbesondere für die zukunftsweisenden MINT-Fächer – Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik. Hierauf weist der „Internationale Tag der Frauen und Mädchen in der Wissenschaft“ am 11. Februar hin, der 2015 von der UNESCO initiiert wurde. Dr. Julia Quante und Alexandra Kohlhöfer, Geschäftsführerinnen der Internationalen Forschungsschule BACCARA (Batterie-Chemie, Charakterisierung, Analyse, Recycling und Anwendung) an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster (WWU), berichten über Chancen und Herausforderungen für Wissenschaftlerinnen und beantworten die Frage, was bei der wissenschaftlichen Karriereplanung hilfreich sein kann.
Welche Chancen liegen für Wissenschaftlerinnen in einer Karriere in der Wissenschaft, speziell in der Chemie?
Alexandra Kohlhöfer: Die Chemie bietet ein breites Aufgabengebiet mit zahlreichen unterschiedlichen Arbeitsfeldern. Es gibt viele Promotionsstellen, die durch Drittmittel finanziert werden und danach ergeben sich oft Chancen, in attraktiven Forschungsprojekten tätig zu sein. Insbesondere Münster als Wissenschaftsstandort und Batterieforschungs-Hotspot ist ein attraktives Umfeld für eine wissenschaftliche Karriere – gleich welchen Geschlechts.
Was beobachten Sie aktuell beim Themenkomplex Frauen in der Forschung?
Julia Quante: Es gibt noch immer zu wenige hoch qualifizierte Frauen in der Forschung. Das ist eine fachbereichs- und disziplinübergreifende Beobachtung. Je weiter man die Karriereleiter nach oben schaut, desto geringer ist noch immer der Frauenanteil in der Wissenschaft. Und ich spreche nicht davon, dass eine oder zwei Frauen in einem Führungsgremium vertreten sind, sondern von einem ausgewogenen Verhältnis zwischen den Geschlechtern.
Alexandra Kohlhöfer: Gleichzeitig erlebe ich einen Bewusstseinswandel. Es wird immer mehr darauf geachtet, dass zum Beispiel Positionen geschlechtsausgewogen besetzt werden. Jedoch stehen wir am Anfang dieses Mentalitätswandels, denn es müssen sich grundlegende Strukturen ändern, um dieses Ziel überhaupt erreichen zu können. Kinderbetreuung, flexible Arbeitszeiten, Still- und Wickelmöglichkeiten am Arbeitsplatz, die zeitliche Planung von Meetings nicht am späten Nachmittag oder Abend oder Führung in Teilzeit sind da mögliche Stellschrauben. Und es ist unabdingbar, dass Frauen auch in höheren Positionen vertreten sein müssen, zum einen als Vorbilder, zum anderen, weil sie aus eigener Erfahrung ein anderes Verständnis für strukturell erforderliche Anpassungen haben können und dann auch in der Position sind, diese direkt mitzugestalten.
Ihre Internationale Forschungsschule BACCARA hat einen Frauenanteil von rund 40 Prozent. In der Fachrichtung Chemie durchaus ungewöhnlich und über dem Durchschnitt. Was unternehmen Sie, um gezielt auch Frauen anzusprechen?
Julia Quante: Wir haben unsere Webseite und die Stellenausschreibungen extern bewerten und uns beraten lassen in Bezug auf Bildsprache, Ansprache und Diversität im Allgemeinen. Zudem achten wir sehr darauf, alle Gruppen gleichermaßen zu repräsentieren. Wir haben beispielsweise unsere Professorinnen explizit in einer Interviewreihe vorgestellt und planen gleiches mit unseren Doktorandinnen. In unserer Ringvorlesung „Electrochemistry and Energy Storage“ stellen wir sicher, dass unter den Vortragenden Frauen und Männer gleichermaßen vertreten sind.
Alexandra Kohlhöfer: Diese Bemühungen haben bereits Erfolge gezeigt: In der zweiten Bewerbungswelle steigerte sich der Anteil an Bewerbungen von Frauen um rund 35 Prozent im Vergleich zur ersten Ausschreibung. Wichtig dabei: Frauen eine Chance zu geben, bedeutet keinesfalls Abstriche in der Qualifikation, wie mancherorts unterstellt, das ist absoluter Quatsch! Nur aufgrund eines spezifischen Geschlechts bekommt niemand eine Stelle – gleich ob Mann, Frau oder divers. Vielmehr sehen wir, dass die Qualifikationen geschlechtsübergreifend hoch sind.
Wie unterstützt BACCARA speziell Frauen in der Wissenschaft?
Alexandra Kohlhöfer: Wir weisen auf entsprechende Veranstaltungsformate hin, unterstützen aktuell zwei unserer Doktorandinnen bei der Kinderbetreuung und arbeiten an eigenen Veranstaltungsformaten für Frauen. Dabei planen wir eine Kooperation mit dem Gender-Pooling der Universität Münster, das zum Beispiel Berufstrainings und Fortbildungen für Wissenschaftlerinnen anbietet
Julia Quante: Zudem ermuntern wir unsere Doktorand*innen, miteinander zu reden und Themen offen anzusprechen. Die Verantwortung für einen Mentalitätswandel trägt jede*r. Zum einen, Dinge selbst anzusprechen oder auch einzufordern, zum anderen, Dritten gegenüber sensibel zu sein und zum Beispiel zu berücksichtigen, dass Netzwerktreffen ausschließlich abends für Mütter mit Kindern eine Herausforderung sein können.
Was wünschen Sie sich für die Zukunft mit Blick auf Frauen und Mädchen in der Wissenschaft für BACCARA?
Julia Quante: Für BACCARA wünsche ich mir, dass wir mehr Angebote für Frauen realisieren und einen sicheren, vertrauensvollen Raum schaffen, in dem alle Themen wertfrei angesprochen werden können.
Alexandra Kohlhöfer: Wenn es gelingt, dass Frauen stärkere Netzwerke untereinander bilden, sich gegenseitig unterstützen und auch dadurch Vorbilder sind, wäre bereits ein großer Schritt getan.