AUTORITÄT UND PLURALITÄT
Der Profilbildungsprozess am IfPol
Seit 2015 diskutiert das Institut für Politikwissenschaft eine Erneuerung seines Forschungsprofils. Es wurde eine Profilgruppe eingesetzt, die auf Basis der aktuellen Forschungsthemen und veröffentlichungen der Hochschullehrer*innen ein Papier verfasste, das als Dach für das neue Forschungsprofil fungieren sollte. Auf zwei Tagungen des IfPol im November 2015 und im Juni 2016 wurden dann die Inhalte des Papiers für sich genommen und bezogen auf die gegenwärtige Forschung am Institut für Politikwissenschaft diskutiert. Die weiteren Schritte der Profilbildung umfassen Workshops zu Unterthemen des Profils, eine Fortsetzung der Diskussion im Rahmen des Institutskolloquiums und mittelfristig gemeinsame Forschungsinitiativen.
Inhaltlicher Stand der Profilbildung: Multiple politische Autorität in einer Welt der Pluralität
Im Mittelpunkt des Profilbildungsprozesses steht die Frage, wie die Politik mit zwei zentralen aktuellen Herausforderungen umgeht.
Erstens hat die Zahl der politischen Einheiten, die Autorität beanspruchen, in den letzten Jahrzehnten erheblich zugenommen. Autorität hat eine politische Einheit dann, wenn sie kollektiv verbindliche Entscheidungen treffen kann und diese Entscheidungen von den Betroffenen als legitim angesehen werden. Zu den neuen politischen Einheiten, die Autorität beanspruchen, zählen formal legitimierte Organisationen wie die EU, die Welthandelsorganisation oder internationale Schiedsgerichte, aber auch informell legitimierte Akteur*innen wie Bürger*inneninitiativen, transnationale Unternehmen oder Interessensverbände, private Standard- und Labeling-Initiativen, Blogger*innen oder andere mächtige Individuen.
Zweitens stellen wir eine zunehmende gesellschaftliche Pluralität in der politischen Auseinandersetzung fest. Diese Pluralisierung lässt sich im Hinblick auf soziale und politische Wertorientierungen (moralische Pluralität), in Bezug auf die Verteilung materieller und ideeller Ressourcen (Ressourcenpluralität) sowie hinsichtlich der Interaktion zwischen moralischer Pluralität und Ressourcenpluralität beobachten.
Aus der Überlagerung beider Prozesse entspringen politische Konflikte, deren Erforschung in Zentrum des Forschungsinteresses stehen. Die Herausbildung von neuen politischen Einheiten, die Autorität beanspruchen, führt dazu, dass diese immer mehr sowohl miteinander als auch mit traditionellen Autoritäten in Konflikt geraten. Durch die zunehmenden Interdependenzen zwischen den unterschiedlichsten politischen Ebenen haben sich die Kapazitäten der einzelnen politischen Autoritäten verringert, die ihnen obliegenden Aufgaben autonom zu erfüllen. Die Kooperation mit anderen Autoritäten wird aber dadurch erschwert, dass die Zielvorstellungen und Autoritätsansprüche häufig widersprüchlich sind. So kommt es zu Auseinandersetzungen über entgegengesetzte Begründungen von Autorität und umstrittene Vorstellungen davon, welche Begründungen als legitim anerkannt werden sollen.
Eine wichtige Ursache dieser Autoritätskonflikte liegt in der zunehmenden gesellschaftlichen Pluralität. Durch Prozesse der funktionalen Differenzierung, Individualisierung, Enttraditionalisierung und Migration sowie im Kontext gesellschaftlicher Ungleichheits-, Macht- und Geschlechterverhältnisse hat die Vielfalt von normativen Orientierungen erheblich zugenommen. Als Folge davon wird die politische Auseinandersetzung zunehmend von Zielvorstellungen geprägt, die einen Anspruch auf unbedingte Gültigkeit erheben, wodurch klassische Formen der politischen Konfliktbearbeitung an ihre Grenzen stoßen. Hinzu kommt, dass Individuen, gesellschaftliche Gruppen, Staaten oder ganze Weltregionen von der Globalisierung, von Naturkatastrophen, von den Auswirkungen des Klimawandels oder von gewalttätigen Konflikten auf höchst unterschiedliche Weise betroffen sind. Dadurch steigt der Grad der ökonomischen Ungleichheit ebenso wie die ungleiche Verteilung von politischen und sozialen Teilhabechancen. Auch daraus erwächst eine erhebliche Zunahme des Konfliktniveaus, mit dem sich politische Aushandlungs- und Entscheidungsprozesse konfrontiert sehen.
Aus dieser Konfrontation von multiplen politischen Autoritäten und einer zunehmend politisierten gesellschaftlichen Pluralität an Wertvorstellungen und Ressourcenausstattungen ergeben sich vielfältige Problemfelder und Fragecluster, denen sich die Forschung am Institut für Politikwissenschaft widmet.