laufende Projekte
Projekt 'Der Erbwerb von Sprachvariation'
Trotz wiederholter Rufe nach gründlicher Erforschung bleibt der Erwerb soziolinguistischer Variationen ein bisher nur oberflächlich untersuchter Bereich, und zwar sowohl in der Soziolinguistik als auch im Bereich der Spracherwerbsforschung. Dabei sprechen mehrere Gründe dafür, Kinder zum Forschungsgegenstand zu machen. Zunächst ist die Fähigkeit, Sprachvariationen wahrzunehmen und anzuwenden, ein wesentlicher Teil der linguistischen Kompetenz, weswegen sie berechtigterweise erforscht werden sollte. Darüber hinaus gilt der Prozess der Sprachübertragung (durch deren Erwerb) seit mehr als einem Jahrhundert als der Hauptmechanismus, der den Sprachwandel vorantreibt (vgl. z. B. Untersuchungen zu Dialektausgleich und –verlust und zur Standardisierung). Wie bei Erwerbsprozessen üblich, kann die Art und Weise wie soziolinguistische Variation erworben wird auch gleichzeitig das Verhältnis zwischen Sprache und Kognition sowie das Verständnis von Grammatik mit beleuchten. Von unserer Untersuchung über den Erwerb von Sprachvariationen erwarten wir neue Erkenntnisse über die Sprachentwicklung und erhoffen uns vom erhobenen Datenmaterial auch Antworten auf Fragen aus dem Bereich der Theoretischen Linguistik. Unsere gegenwärtige Forschung ist auf drei Themen fokusiert: den Erwerb von Spracheinstellungen, den Erwerb soziolinguistischer Kompetenzen (etwa 'style shifting' und 'social meaning'), und das grammatische Genus als Teil des linguistischen Systems.
Neben dem Verfassen von Aufsätzen und der Zusammenstellung eines Korpus Niederländisch haben wir eine Tagung zum Thema veranstaltet und sind in der Vorbereitung eines Sammelbandes (in Kooperation mit Matthias Katerbow von der Philipps-Universität Marburg).
Wissenschaftler: Prof. Dr. Gunther De Vogelaer
Projekt 'Sprache entlang der deutsch-niederländischen Grenze'
Wenn auch im Allgemeinen häufig davon ausgegangen wird, dass das deutsche und das niederländische Sprachgebiet ein einziges Dialektkontinuum bilden, in dem keine eindeutigen Sprachgrenzen auszumachen sind, so weiß man jedoch inzwischen, dass Prozesse wie etwa Dialektausgleich und -verlust auf beiden Seiten der Staatsgrenze dazu geführt haben, dass Dialekte konvergieren und sich den jeweiligen Standardsprachen annähern. Dies geschieht in einem Ausmaß, das den Fortbestand des Dialektkontinuums gefährdet. Im Verlauf der letzten Jahrzehnte haben die politischen Staatsgrenzen immer mehr an Bedeutung verloren, und sowohl in den Niederlanden als auch in Deutschland profitieren Grenzregionen zunehmend von staatlicher Förderung, wie etwa die sogenannten Euregios. Gleichzeitig ist die Bedeutung der betreffenden Regionalsprachen (Nedersaksisch und Limburgs in den Niederlanden, Niederdeutsch in Deutschland) gestiegen. Dieses Projekt ist auf die gegenwärtige linguistische Landkarte der deutsch-niederländischen Grenzregion und ihrer Veränderung im Verlauf der letzten Jahrzehnte ausgerichtet. Geplant ist sowohl eine Untersuchung auf der 'objektiven' (z.B. des Sprachgebrauchs) als auch der 'subjektiven' Ebene (z.B. Spracheinstellungen und -wahrnehmung). Auf 'objektiver' Ebene beabsichtigen wir neben einer Beschreibung des heutigen Dialekts auch die Berücksichtigung der regionalen (Sub-)Standardsprachen, der Struktur von Sprachrepertoires und Muster der Stilwechsel. Die Erforschung der subjektiven Ebene umfasst dabei die mentale Wahrnehmung linguistischer Distanzen und Probleme der Verständlichkeit.
Information an Studierende: Wir laden Studierende ein, die an Feldforschung auf der deutschen oder niederländischen Seite der Grenzregion interessiert sind, sich an diesem Projekt zu beteiligen. Die Mitarbeit kann im Rahmen eine Bachelor-, Master- oder Doktorarbeit oder eines Praktikums erfolgen. Bitte sprechen Sie uns an!
Wissenschaftler: Prof. Dr. Gunther De Vogelaer, Prof. Dr. Helmut Spiekermann (Germanistisches Institut), Christian Gewering (Institut für Sprachwissenschaft), Heike Wermer, M.A. (Institut für allgemeine Sprachwissenschaft)
Projekt 'Die Psycholinguistik der Variation und Veränderung im niederländischen (und deutschen) Genus'
Das niederländische pronominale Genus befindet sich gegenwärtig im Übergang von einem syntaktischen zu einem semantischen System. Die Kongruenz mit dem lexikalen Genus (maskulin, feminin und neutral) wird durch ein System ersetzt, das auf Individuation beruht. Die stark individualisierten Nomina verbinden sich mit maskulinen und femininen Pronomen, während schwach individualisierte Nomina wie das feminine Massennomen melk 'Milch' sich mit dem neutralen het zusammenschließen.
De melk was warm maar nu is het (ersetzt ze) koud.
'Die Milch war heiß, aber jetzt ist es.NEUT (sie.FEM) kalt.'
Die Varietäten des Niederländischen unterscheiden sich im Hinblick auf das Ausmaß, in dem der Prozess vollzogen wurde: die nördlichen Varietäten kennen mehrere verarmte adnominale Systeme, in denen das maskuline und feminine Genus zusammengefallen sind und das semantische Genus öfter auftritt, als in den südlichen Varietäten, die noch immer zwischen maskulinem und femininem Genus unterscheiden. Die Erklärung für diese Korrelation ist im Wesentlichen eine psycholinguistische: eine bessere Verankerung des Genus im Gebrauch ermöglicht es den südlichen Sprechern das traditionelle System schneller und kompetenter zu erlernen, wohingegen die Undurchsichtigkeit des lexikalen Genus die nördlichen Sprecher dazu zwingt, sich semantisch gesteuerten Strategien zu bedienen.
Unser Ziel in diesem Forschungsprojekt ist es, diese Erklärung experimentell zu testen. Hierzu arbeiten wir mit psycholinguistischen Tests (z. B. speeded grammatically judgement) in verschiedenen Gruppen mit niederländischen und deutschen Sprechern – jeweils Personen, die die Sprachen als Erst- und Zweitsprache erlernt haben. Die Untersuchungen werden gemeinsam mit dem Germanistischen Institut (Jun.-Prof. Sarah Schimke) und Englischen Seminar (Jun.-Prof. Gregory Poarch) durchgeführt.
Wissenschaftler: Prof. Dr. Gunther De Vogelaer, Jun.-Prof. Sarah Schimke (Germanistisches Institut), Jun.-Prof. Gregory Poarch (Englisches Seminar)