Einführungen in die Wirtschafts- und Sozialgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts | |||
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Das "goldene Zeitalter" der Nachkriegsprosperität (ca. 1948-1973) |
Der demographische Übergang
1.
Wirtschaftliche Entwicklung seit 1800
1.3. Langfristige Entwicklungen
1.3.4. Das "goldene Zeitalter" der Nachkriegsprosperität (ca. 1948-1973)
Exkurs: Ansätze zur Erklärung des Wirtschaftswachstums nach dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland | |
(ml) Der bedeutendste am nationalen Wachstumspotential orientierte Ansatz,
die sogenannte Rekonstruktionshypothese, lässt sich am
anschaulichsten durch ein Zitat des britischen Ökonomen John Stuart Mill
(19. Jh.) verdeutlichen: "Ein Feind verlässt ein durch Feuer und Schwert
vernichtetes Land, zerstört und nimmt beinah sein ganzes bewegliches
Vermögen mit fort; alle Einwohner sind ruiniert, und wenige Jahre später
ist doch alles wie vorher. Diese vis medicatrix naturae hat oft
Staunen hervorgerufen... Es ist aber gar nichts wunderbares dabei."
Die Rekonstruktionshypothese lautet nun wie folgt: Langfristig
entwickelt sich die Volkswirtschaft nach einem Wachstumstrend, dessen
Steigung durch die Aufnahmefähigkeit der Arbeitskräfte für
technologische Neuerungen bestimmt wird. Infolge des Krieges wird zwar
der Sachkapitalstock einer Wirtschaft zerstört, nicht jedoch das
Humankapital. Der Wiederaufbau einer Wirtschaft nach einem Krieg
vollzieht sich sehr schnell, weil (i) Investitionen in die Infrastruktur
Engpässe beheben, (ii) Arbeitskräfte nach Beseitigung von Wohnraum- und
Nahrungsmittelnotstand wieder gemäß ihren Qualifikationen eingesetzt
werden können und (iii) sich die Qualifikation der Arbeitskräfte während
des Krieges weiterentwickelt hat und damit technologischer Rückstau
abgebaut werden kann.
Mit der Beseitigung der Kriegsschäden kehrt die Wirtschaft wieder auf
ihren langfristigen Wachstumstrend zurück. Je größer demnach die
Abweichung des Einkommens vom Trendwert war, desto höher musste auch das
Einkommenswachstum nach dem Krieg sein.
Diese Hypothese hat vor allem zwei
Schwachpunkte: (1) die Aufnahmefähigkeit für neue Technologien kann durch
erhöhte Schulbildung gesteigert werden; (2) es läßt sich keine relative
Lohnsteigerung für gut ausgebildete Arbeitskräfte finden.
Die Catch-up-Hypothese ist ein am internationalen Wachstumspotential orientierter Ansatz.
Nach ihr können technologisch relativ rückständige Länder durch
Imitation von Produktionsverfahren und die Übernahme effizienter
Organisationsformen zeitweise ein höheres Wachstum erzielen als das
technologisch führende Land, weil Imitation und Übernahme keine
Entwicklungskosten erfordern.
Das Wachstum und damit die relative Aufholgeschwindigkeit verlangsamen
sich im Zeitablauf, da (i) die Menge an kopierbaren Ideen begrenzt ist
und (ii) zuerst die rentabelsten und nach und nach unrentablere Ideen
imitiert werden, womit der zusätzliche Nutzen und die zusätzlichen Wachstumspotentiale jeder weiteren Imitation geringer sind als diejenigen der vorherigen Imitationen (= "abnehmende Grenzerträge der Imitation).
Das deutsche Nachkriegswachstum erklärt sich damit wie folgt: Vor dem
Ersten Weltkrieg entwickelten sich die USA zum wirtschaftlich führenden
Land, dessen Produktionsverfahren kapital- und
skalenintensiv (sehr großer Binnenmarkt) waren. Zudem waren die
deutschen Arbeitskräfte im Vergleich zu den USA durch eine geringe
universitäre Ausbildung gekennzeichnet. Nach dem Zweiten Weltkrieg
schafften hohe Investitionen und bessere Ausbildung der Arbeitskräfte
die Voraussetungen für die Übernahme amerikanischer Produktions- und
Managementmethoden. Das Erklärungsprogramm der Catch-Up-Hypothese
beinhaltet auch das stärkere Einkommenswachstum von Staaten, die ein
relativ geringes Einkommen im Vergleich zu den USA in der
Ausgangsperiode hatten (Deutschland, Italien) im Vergleich zu anderen
(Großbritannien).
Problem: auf disaggregierter
Ebene (Landwirtschaft, Industrie, Dienstleistungen) läßt sich keine Konvergenz
der Produktivität erkennen. Die Betriebsgröße bleibt in Deutschland kleiner.
Die Grundhypothese dieses Ansatzes lautet: Exporte führen zu
Wirtschaftswachstum, weil sie (1) Nachfrage darstellen, (2) Investitionen
fördern, (3) Ausnutzung von Spezialisierungsvorteilen ermöglichen und (4)
Wachstumsrestriktionen durch Zahlungsbilanzungleichgewichte verhindern. Die Bundesrepublik
konnte als traditioneller Exporteur von Investitionsgütern demnach vom Aufbau
Westeuropas nach dem Krieg profitieren.
Empirisch läßt sich ein positiver
Einfluß von Exportwachstum auf Wirtschaftswachstum gut belegen; ebenso ist die
starke Exportneigung der BRD gut belegt.
Problem: die deutschen Exporte
wuchsen nur geringfügig schneller als diejenigen anderer Länder (z.B. 1% Punkt
Wachstumsvorteil gegenüber GB), wohingegen das Wirtschaftswachstum in
Deutschland teilweise erheblich höher war.
Bitte beachten Sie die Materialien zu Sitzung 10 der Vorlesung Deutsche Wirtschaftsgeschichte seit 1850 von Dr. Thomas Bittner bzw. Dr. Carsten Burhop.
Das "goldene Zeitalter" der Nachkriegsprosperität (ca. 1948-1973) |
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