Kann man den christlichen Glauben in Formeln zwängen?
Das Glaubensbekenntnis von Nizäa 325 sei zugleich eine Bürde wie auch Anlass, mit großer Kreativität theologische Fragen anzugehen. So stellt der evangelische Kirchenhistoriker Prof. Dr. Wolfram Kinzig in der Ökumenischen Gastvorlesung am 20. Januar mit Blick auf das in diesem Jahr begangene 1.700-jährige Jubiläum des Konzils von Nizäa die Wirkungsgeschichte des nizänischen Glaubensbekenntnisses heraus. Wolfram Kinzig problematisiert, dass die altkirchlichen Auseinandersetzungen in ihrem häufig übersehenen politischen Charakter zur Ausgrenzung, der Ausbildung einer elitären Theologie und zur Beschränkung christlicher Freiheit beigetragen hätten. Zugleich seien die Glaubensbekenntnisse ökumenisch breit akzeptiert und Anstoß für intellektuelle Auseinandersetzungen um theologische Probleme.
Wolfram Kinzig stellt in der Gastvorlesung Vorgeschichte, Rezeption und Inhalt des Glaubensbekenntnisses von Nizäa 325 und von Nizäa-Konstantinopel 381 vor. Er analysiert die theologiegeschichtliche Wirkungsgeschichte der altkirchlichen Symbola und stellt das „ambivalente Erbe“ der Bekenntnisse heraus. Die Frage, mit der Wolfram Kinzig seinen Vortrag überschrieben hatte, beantwortete er schließlich mit der Feststellung, dass man den Glauben in Formeln zwängen könne, dies vielleicht sogar müsse, es damit aber zugleich zu einer Verkürzung christlicher Spiritualität komme.
An den Vortrag schloss sich eine lebhafte Diskussion an, die sich um die soteriologische Aussagekraft des Glaubensbekenntnisses von Nizäa, seine kirchenpolitischen Wirkungen sowie um einen kreativen Umgang mit dem Bekenntnis drehte. Dabei wurde die heutige Fremdheit gegenüber den historischen Kontroversen, die zu seiner Entstehung führten, ebenso thematisiert wie die Aufnahme philosophischer Denkfiguren zur Lösung dieser Streitfragen.
Prof. Dr. Wolfram Kinzig ist Professor für Kirchengeschichte an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn. Einer seiner Forschungsschwerpunkte sind die altkirchlichen Bekenntnisse, zu denen er umfangreich publiziert hat. Unter anderem hat er 2016 unter dem Titel „Faith in Formulae“ eine vierbändige Quellensammlung zu den frühchristlichen Glaubensbekenntnissen veröffentlicht. Für seine jüngste Monografie „A History of Early Christian Creeds“ hat Wolfram Kinzig den Alberigo Award 2024 der European Academy of Religion erhalten.
Die Ökumenische Gastvorlesung wird jedes Jahr traditionell am Montag der Gebetswoche für die Einheit der Christen (18. bis 25. Januar) gemeinsam vom Ökumenischen Institut der Katholisch-Theologischen Fakultät und dem Institut für Ökumenische Theologie der Evangelisch-Theologischen Fakultät ausgerichtet. Sie kann auf eine jahrzehntelange Tradition zurückblicken. Die Einladung der Gastredner:in und die federführende Organisation der Gastvorlesung erfolgt immer im Wechsel zwischen den beiden Instituten.
Eine Übersicht über die Ökumenischen Gastvorlesungen der vergangenen Jahre findet sich auf einer eigens eingerichteten Seite des Ökumenischen Instituts.